Die große Scheu vor Medienpolitik
Der ORF ist ein Krisengewinnler. Die Einschaltquoten stiegen infolge Regierungskrise auf das Rekordniveau von Ibiza und Corona. Alle Nachrichtenmedien profitieren von solchen Notlagen. Doch den öffentlichrechtlichen Rundfunk traf der Kanzlerwechsel zur Best- und Unzeit. Es war der schlechtestmögliche Termin, weil die Koalition soeben wenigstens den Fahrplan für ein neues ORF-Gesetz beschlossen hatte. Das steht nun wieder in den Sternen. Doch es war der ideale Stichtag für einen parteipolitischen FreischwimmerAusweis. Denn der Antrag der ORF-Führung auf acht Prozent mehr Rundfunkgebühr geschah gegen den Willen von Sebastian Kurz. Im mehrheitlich der ÖVP zugerechneten Stiftungsrat, der darüber entscheidet, gab es also manch Interessenkonflikt. un wurde diese GIS-Erhöhung mit 26 von 30 Stimmen beschlossen. Nur die FPÖ-Leute stimmten dagegen. Das ist gut für das Ansehen des Aufsichtsgremiums, das dem ORF mehr als den Parteien verpflichtet sein müsste, die es größtenteils zusammenstellen. Doch letztlich war es im Windschatten der Koalitionswirren eine leichte Pflichtübung. Die Nagelprobe der Unabhängigkeit steht Stiftungsrat wie Generaldirektor erst bevor. Für das GIS-Muss hatte noch Alexander Wrabetz mit Roland Weißmann gekämpft. Für das auf Herbst
N2022 anvisierte ORFGesetz steht der Nachfolger allein einer Regierung mit neuem Kanzler gegenüber – und bekommt im Mai auch einen neuen Stiftungsrat. as wird die entscheidende Bewährungsprobe. Für Weißmann, der das Vorurteil des ÖVP-Gesandten entkräften muss – im eigenen und Unternehmensinteresse. Für die Stiftungsräte, die den ImageMakel parteilicher Erfüllungsgehilfen abschütteln sollen. Der Wille einer Regierung, medienpolitisch was zu schaffen, das eher den Betroffenen als der eigenen Macht dient, wirkte aber selten so unterentwickelt. Obwohl alle erinnerlichen Koalitionen in diesem Bereich aus Eigennutz demokratiepolitisch versagt haben. in Indiz für diesen Unwillen ist die unumgängliche Ablöse des Medienbeauftragten von Kurz: Gerald Fleischmanns Methoden waren oft fragwürdig bis unsäglich, doch sein professionelles Know-how stand immer außer Zweifel. Sein Nachfolger Shilten Joseph Palathunkal hingegen ist in der Branche ein nahezu unbeschriebenes
Blatt. Das wirkt nicht so, als ob Bundeskanzler Alexander Schallenberg in diesem Bereich etwas weiterbringen will – oder darf. Die ORF-Entwicklung wird ein Spiegelbild dafür, wie sehr der Operettenzum Marionettenstaat verkommt. Am Ballhausplatz und auf dem Küniglberg.
ED