„Es tut Kindern gut, sich selbst zu beschäftigen“
Heutzutage sind Eltern oft erschöpft, weil sie viel mit dem Nachwuchs spielen. Uns hat man früher „frei spielen“lassen, also sich einfach nicht so viel um Kinder gekümmert. War das besser? MARTINA MOSER: Es war damals zumindest eine entspanntere Haltung im Miteinander. Kinder wurden mehr sich selbst überlassen und konnten sich anders entwickeln. Wenn sich das Kind selbst beschäftigen muss, ist das kein Alleinlassen, sondern laut Pikler-Pädagogik etwas Gutes, wenn gewisse Voraussetzungen erfüllt werden. MARIA SALZGER-AICHHORN: Kinder haben ja ein grundsätzliches Interesse daran, sich selbst zu beschäftigen. Sie bringen diese Eigenschaften von Geburt an mit. Und so, wie sie ihre Lebensrealität kennenlernen, so kooperieren sie dann auch: Wenn also die Eltern sie von Anfang an daran gewöhnen, dass sie bespielt werden, werden sie das auch einfordern. MOSER: Wenn Kinder aber von Anfang an die Erfahrung machen, dass sie auch mit sich selbst eine Zufriedenheit entwickeln können und auch Zeit dafür bekommen, dann wächst ihr Zutrauen zu sich selbst. Vorausgesetzt, jemand ist verlässlich da, wenn sie etwas brauchen.
Es gibt auch größere Kinder, die nicht alleine spielen. Was könnte da helfen?
SALZGER-AICHHORN: In der Pikler-Pädagogik beschäftigen wir uns mit Babys und Kleinkindern und stellen uns die Frage, was Säuglinge brauchen, um alleine spielen zu können. Hier ist
17. OKTOBER 2021 das beziehungsvolle Zusammensein in der Pflege eine Voraussetzung. Aus Erfahrung mit meinen Kindern weiß ich, dass auch größere Kinder von der ungeteilten Aufmerksamkeit zum Beispiel beim Anziehen profitieren und sich danach wieder gut selbst beschäftigen. MOSER: Die Pflegesituation kann man wunderbar zum Auftanken nutzen. Mit der Zeit schleicht sich zum Beispiel beim Wickeln eine Routine ein. Gut wäre, das als schöne gemeinsame Zeit zu nutzen – es ist ja ein intimer Moment. Aber auch größere Kinder brauchen noch das Gefühl der Verbundenheit, sie wollen in Kontakt sein. Das geht auch beim gemeinsamen Essen gut, wenn man sich dafür genug Zeit nimmt. Danach kann das Kind emotional gesättigt spielen. SALZGER-AICHHORN: Die Zeit ist überhaupt ein ganz wichtiger Punkt. Wenn im Alltag zu oft etwas geplant ist, kann sich das Kind nicht auf das vertiefte Spiel einlassen. Gerade in unseren hektischen Zeiten ist es gut, freie Stunden einzuplanen.
MOSER: Die Pikler-Philosophie hat auch den Grundsatz „weniger ist mehr“, was das Spielzeug angeht. Viele Familien werden überhäuft mit Geschenken, es gibt Spielzeug im Überfluss. Zu viele Spielsachen können zu Überforderung führen. Wenn man bemerkt, dass ein Kind nicht ins Spiel findet, kann man auch versuchen, zu reduzieren.