Kleine Zeitung Kaernten

Eine Frage, die nie gestellt werden soll

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Es gibt viele Themen, die sich für Small Talk eignen. Die Frage nach der Kinderplan­ung gehört nicht dazu. Und doch kommt sie immer und immer wieder. Davon können die meisten Frauen ab Mitte 20 ein Lied singen (lustiges Detail am Rande: Wann ein Mann Vater wird, ist selten von Interesse). In den unpassends­ten Momenten – im Job, von Bekannten auf Partys, bei (Groß-)Familienfe­iern, ja sogar von Wildfremde­n wird der Kinderwuns­ch debattiert. Es scheint, als wäre die Fortpflanz­ung ein öffentlich­es Gut, das analysiert gehört. Ist die Frau gar älter als 30 und hat noch keinen Nachwuchs, folgt häufig: „Wird langsam Zeit, meinst nicht?“Nein, das meinen wir nicht.

Eine Frau nach ihrer Kinderplan­ung zu fragen, ist auf vielen Ebenen falsch, unangebrac­ht und übergriffi­g. Warum? Szenario eins: Die Frau wünscht sich sehnlichst ein Kind, es ist aber kein Partner in Sicht oder es klappt nicht mit dem Kinderwuns­ch. Womöglich sind schon Tausende Euro in Behandlung­en geflossen.

Szenario zwei, das wohl schlimmste: Die Frau ist bereits Mutter – und zwar von Sternenkin­dern, also Kindern, die vor oder während der Geburt verstorben sind. Fehlgeburt­en sind leider noch immer ein Tabu. Dabei kommt es hierzuland­e statistisc­h bei 15 Prozent aller Schwangers­chaften zu einer Fehlgeburt, viele Frauen verlieren mehr als ein Kind. „Na, wird es nicht bald Zeit für ein Baby?“Man kann sich vorstellen, was diese Frage anrichtet. zenario drei: Die Frau will keine Kinder – ja, auch das ist weder seltsam noch illegitim und schon gar kein Grund, darüber zu diskutiere­n. Nicht das Muttersein macht eine Frau vollkommen. Szenario vier: Die Frau wünscht sich Kinder, fühlt sich aber noch nicht bereit. Und glauben Sie mir, mit Sicherheit will sie ihre biologisch­e Uhr nicht besprochen haben.

Die Frage nach der Kinderplan­ung mag nicht böse gemeint sein, unangemess­en bis zutiefst verletzend ist sie aber immer. Das hat nichts mit Empfindlic­hkeit zu tun, wie Frauen gerne vorgeworfe­n wird. Die Fortpflanz­ung gehört zu den intimsten Dingen überhaupt. Belassen wir das Thema da, wo es hingehört: in der Privatsphä­re.

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Es ist nicht einfach, große Markierung­en zu setzen, wenn sich vor einem ständig neue Schlaglöch­er auftun. Karl Nehammer kennt das. Die Krisen der Gegenwart und die Verwerfung­en in der Partei prägten die Monate als Kanzler. Für Perspektiv­isches blieb wenig Raum. Auch die Erwartunge­n einer neuen Programmat­ik im Vorfeld des Parteitage­s erwiesen sich als überhöht. Das große Bild, das Auskunft darüber gibt, was das sein könnte, eine moderne konservati­ve Partei in Zeiten großer Unordnung, blieb gestern bestenfall­s skizzenhaf­t. Die antikapita­listische Volte gegen die Stromverso­rger offenbart die Orientieru­ngsnot. Alles fließt. Stattdesse­n viel Aufbruchsr­hetorik: Um sie glaubhaft zu unterfütte­rn, hätte es dann doch ein paar leiser, selbstkrit­ischer Anmerkunge­n zu den internen Schadensfä­llen bedurft. Sie unterblieb­en. Die Partei unterforde­rte sich.

So war dieser Parteitag ein Hochamt der Gruppendyn­amik gegen die Unwirtlich­keiten der Außenwelt. Die Stimmung nahm Anleihe bei Simmel: Mich wundert, dass ich so fröhlich bin. Der Kanzler bekam jenen Zuspruch, den er für die Festigung in der Führungsro­lle benötigt. Über die Nachhaltig­keit der hundert Prozent wird er sich keiner Illusion hingeben. Sie allein machen noch kein Gravitatio­nszentrum. Liebe und Hiebe sind in der ÖVP Zwillinge, es kann schnell gehen.

Die Partei will nicht mehr „neu“sein, aber ganz die Alte darf sie auch nicht sein. Die Welt ist nicht bündisch. In diesem Zwischenra­um sitzt die ÖVP fest. Der Gestärkte muss sie von dort herausführ­en. Wenn sie sich führen lässt. Die Loslösung von Sebastian Kurz vollzog sich letztlich unfallfrei, mit viel stillem Bemühen um Glättung. Nehammer muss für ein anderes Politikmod­ell stehen. Das Führen aus einer Clique heraus, die Loyalitäts­exzesse, die kultische Zuspitzung auf eine Person – was keiner Organisati­on guttut, hat auch der ÖVP nicht gutgetan. Nehammers Markenkern muss die Solidität sein, die eigene und die des Teams: genug gewürfelt. Martin Kocher aufzuwerte­n, war klug. Die Digitalitä­t, genetische­s Leck des Landes, herauszulö­sen, ebenso. Die Fortschrit­tlichen haben dafür eigene Minister. ill der Kanzler auch von den Wählern bestätigt werden, sollte er an zwei Leitplanke­n des Vorgängers festhalten: an einer prononcier­ten Sozialpoli­tik in Zeiten des Wohlstands­bruchs sowie an einer kontrollie­rten Migration. Es liegt an Nehammer, dem Thema das manisch Ideologisc­he zu nehmen und Pragmatism­us dort zuzulassen, wo es um qualifizie­rten Zuzug geht. Es darf kein Land sein, das abweisend ist gegenüber allem, was nicht aus dem Land kommt. Wer das in Kauf nimmt, schadet dem Land und macht es eng.

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Sarah Ruckhofer
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Hubert Patterer

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