Die Brückenbauerin der Grande Nation
Frankreichs Premierministerin: eine Technokratin in der Männerclique.
Als beinahe zaghaft und verschreckt könnte man diese zierliche 61-Jährige vor den Fernsehkameras beschreiben. Wären da nicht die ständig gleichen Begleiter an ihrer Seite. Dicke Mappen voller Dokumente lassen ihren Schritt zielstrebig wirken, die Agenda hat diese Dame stets fest im Griff.
Erstmals seit 30 Jahren steht mit Élisabeth Borne in Frankreich wieder eine Frau an der Spitze der Regierung. Als Nachfolgerin von Jean Castex habe Präsident Emmanuel Macron Élisabeth Borne als Premierministerin nominiert, teilte der Elysee-Palast am Montag mit.
Laut einer Umfrage kennen 45 Prozent der Bevölkerung Borne nicht. Als langjährige Spitzenbeamtin kennt die „Unbekannte“das Pariser PolitParkett hingegen in- und auswendig. Doch so schlicht die bisherige Arbeitsministerin und ehemalige Umweltministerin in ihrem Auftreten wirkt, so schwer lässt sie sich in die Karten (oder: die dicke Mappe unter ihrem Arm) blicken. Ihre Vita gibt wohl am meisten Aufschluss. Die Tochter eines jüdischen Widerstandskämpfers und einer normannischen Apothekerin durchlief gleich zwei Eliteschmieden, schloss als Diplomingenieurin für Straßenund Brückenbau ab. 2017 wurde sie Teil der Macron-Partei „La Republique En Marche“. Ihre Nähe zur Sozialdemokratie bestätigte sie 2020 einmal mehr, als sie zusätzlich Mitglied der Partei „Territoires de Progrès“wurde.
Ganz pragmatisch könnte man Borne als Technokratin charakterisieren. Technisch gesehen wird die Diplomingenieurin, die die Geister scheidet, die Grande Nation mit moderaten Brücken versehen; kühl zwischen Last und Balance, Umwelt und Wirtschaftsbegehren Rechnungen aufstellen. Für Macron ist sie die konservative Antwort auf den Vorwurf, sein Team wäre eine reine Männerclique. Für seinen Gegner, Jean-Luc Mélenchon, vermutlich eine schlichte Gefahr für sein linkes Bündnis und die anstehenden Parlamentswahlen im Juni.