Entkernte Neutralität
Österreich hat zwei Möglichkeiten: sich unter den Schutzschild der Nato zu begeben oder Geld ins Heer zu stecken. Die EU-Armee ist eine charmante Idee, aber keine echte Option.
An einem schwülen Augusttag trudelte im Außenamt ein knappes Schreiben ein. Absender waren die USA, die anfragten, ob denn nicht Militärmaschinen voll beladen mit Waffen über Österreich in den Golf fliegen dürfen. Knapp zuvor hatte Saddam Hussein Kuwait überfallen. Das Papier trieb der Koalition die Schweißperlen auf die Stirne. Wie das mit der Neutralität vereinbar sei? Tagelang rauchten die Köpfe, ehe die erlösende Formel gefunden wurde: Sobald die UNO in einem Krieg Partei ergreift, hat Solidarität Vorrang vor Neutralität. Im Bosnienkrieg donnerten deutsche Kampfbomber über Österreich in den Süden, derzeit fliegen die Italiener quer über Österreich Waffen in die Ukraine.
In den letzten 30 Jahren wurde unsere politische Neutralität, also die Idee, dass man im Konflikt nicht Partei ergreift, sondern neutral vermittelt, zu Grabe getragen. Seit dem Beitritt ist Österreich verpflichtet, sich EU-Sanktionen anzuschließen, also sich in Krisen auf eine Seite zu schlagen. Ausgehöhlt wurde auch die militärische Neutralität. Nicht nur stand das Bundesheer im Kosovo und Afghanistan unter NatoKommando. Nach Nato-Vorbild kennt die EU eine Beistandspflicht. Wird Portugal angegriffen, müssen alle EU-Staaten dem Land zu Hilfe eilen – die Neutralen haben sich die „irische Klausel“ausverhandelt, sind nicht zum Einsatz gezwungen. Apropos gezwungen: Nicht einmal die Nato kennt den Zwang. 1999 nahm Griechenland am Nato-Einsatz gegen Serbien nicht teil. Wie im Übrigen manches Klischee über Bord geworfen werden sollte. Man kann auch Nato-Mitglied sein ohne Armee (Island) oder Abfangjäger (Slowenien).
Seit 1945 waren Schweden und Finnen mit der Idee, sich im bündnisfreien Zwischenraum zwischen Ost und West häuslich einzurichten, gut gefahren. Putin hat dem charmanten Konzept den Todesstoß verpasst. In Österreich bestimmen nicht sicherheitspolitische Erwägungen, sondern parteitaktische Überlegungen und Umfragen den Diskurs. ÖVP, FPÖ, aber auch Teile der SPÖ (Josef Cap) waren bereits für den Nato-Beitritt, als es parteipolitisch opportun war. Derzeit wird mit dem Verweis auf die Neutralität jede Debatte im Keim erstickt. Und so bleiben wir unserer Rolle als Trittbrettfahrer treu – mit dem paradoxen Verweis, Österreich müsse nicht in die Nato, weil wir ohnehin von der Nato umgeben sind. Und sollte doch etwas passieren, gäbe es die EUBeistandsklausel, über deren Hintertüre uns die Nato helfen würde. Eine sicherheitspolitische Scharlatanerie. sterreich hat zwei Optionen: entweder unter den Schutzschild der Nato zu schlüpfen oder Geld sinnvoll ins Heer zu stecken – wie es Schweden, Finnen, Schweizer bisher vorexerziert haben, die jeweils um die 100 Abfangjäger besitzen. So weitermachen wie bisher ist keine Option. Die Option der EU-Armee sollte man sich aus dem Kopf schlagen, sie bleibt ein Papiertiger. Nicht einmal Schweden und Finnland wollen davon etwas wissen.
Ö