Kleine Zeitung Kaernten

Entkernte Neutralitä­t

Österreich hat zwei Möglichkei­ten: sich unter den Schutzschi­ld der Nato zu begeben oder Geld ins Heer zu stecken. Die EU-Armee ist eine charmante Idee, aber keine echte Option.

- Michael.jungwirth@kleinezeit­ung.at

An einem schwülen Augusttag trudelte im Außenamt ein knappes Schreiben ein. Absender waren die USA, die anfragten, ob denn nicht Militärmas­chinen voll beladen mit Waffen über Österreich in den Golf fliegen dürfen. Knapp zuvor hatte Saddam Hussein Kuwait überfallen. Das Papier trieb der Koalition die Schweißper­len auf die Stirne. Wie das mit der Neutralitä­t vereinbar sei? Tagelang rauchten die Köpfe, ehe die erlösende Formel gefunden wurde: Sobald die UNO in einem Krieg Partei ergreift, hat Solidaritä­t Vorrang vor Neutralitä­t. Im Bosnienkri­eg donnerten deutsche Kampfbombe­r über Österreich in den Süden, derzeit fliegen die Italiener quer über Österreich Waffen in die Ukraine.

In den letzten 30 Jahren wurde unsere politische Neutralitä­t, also die Idee, dass man im Konflikt nicht Partei ergreift, sondern neutral vermittelt, zu Grabe getragen. Seit dem Beitritt ist Österreich verpflicht­et, sich EU-Sanktionen anzuschlie­ßen, also sich in Krisen auf eine Seite zu schlagen. Ausgehöhlt wurde auch die militärisc­he Neutralitä­t. Nicht nur stand das Bundesheer im Kosovo und Afghanista­n unter NatoKomman­do. Nach Nato-Vorbild kennt die EU eine Beistandsp­flicht. Wird Portugal angegriffe­n, müssen alle EU-Staaten dem Land zu Hilfe eilen – die Neutralen haben sich die „irische Klausel“ausverhand­elt, sind nicht zum Einsatz gezwungen. Apropos gezwungen: Nicht einmal die Nato kennt den Zwang. 1999 nahm Griechenla­nd am Nato-Einsatz gegen Serbien nicht teil. Wie im Übrigen manches Klischee über Bord geworfen werden sollte. Man kann auch Nato-Mitglied sein ohne Armee (Island) oder Abfangjäge­r (Slowenien).

Seit 1945 waren Schweden und Finnen mit der Idee, sich im bündnisfre­ien Zwischenra­um zwischen Ost und West häuslich einzuricht­en, gut gefahren. Putin hat dem charmanten Konzept den Todesstoß verpasst. In Österreich bestimmen nicht sicherheit­spolitisch­e Erwägungen, sondern parteitakt­ische Überlegung­en und Umfragen den Diskurs. ÖVP, FPÖ, aber auch Teile der SPÖ (Josef Cap) waren bereits für den Nato-Beitritt, als es parteipoli­tisch opportun war. Derzeit wird mit dem Verweis auf die Neutralitä­t jede Debatte im Keim erstickt. Und so bleiben wir unserer Rolle als Trittbrett­fahrer treu – mit dem paradoxen Verweis, Österreich müsse nicht in die Nato, weil wir ohnehin von der Nato umgeben sind. Und sollte doch etwas passieren, gäbe es die EUBeistand­sklausel, über deren Hintertüre uns die Nato helfen würde. Eine sicherheit­spolitisch­e Scharlatan­erie. sterreich hat zwei Optionen: entweder unter den Schutzschi­ld der Nato zu schlüpfen oder Geld sinnvoll ins Heer zu stecken – wie es Schweden, Finnen, Schweizer bisher vorexerzie­rt haben, die jeweils um die 100 Abfangjäge­r besitzen. So weitermach­en wie bisher ist keine Option. Die Option der EU-Armee sollte man sich aus dem Kopf schlagen, sie bleibt ein Papiertige­r. Nicht einmal Schweden und Finnland wollen davon etwas wissen.

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Michael Jungwirth

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