Kleine Zeitung Kaernten

„Solche Sorgen sindimmere­rnst zu nehmen“

INTERVIEW. In Österreich steigen die Preise so stark wie seit 1952 nicht mehr. Nationalba­nkGouverne­ur Robert Holzmann über weitere Zinserhöhu­ngen als Gegenmitte­l, staatliche Milliarden­hilfen und „Vorteile“einer Rezession.

- Von Manfred Neuper und Markus Zottler

Mehr als eine halbe Million Menschen haben gerade das Volksbegeh­ren für ein Recht auf Bargeld unterschri­eben – so viele wie bei keinem anderen der jüngsten Volksbegeh­ren. Woher rührt aus Ihrer Sicht die Sorge, dass Bargeld abgeschaff­t werden könnte? ROBERT HOLZMANN: Ich finde es grundsätzl­ich gut, dass Bargeld offensicht­lich sehr beliebt ist. Die Hintergrün­de sind divers, aber sicher ist es auch eine Generation­enfrage. Heutzutage muss man bei zahlreiche­n Transaktio­nen schon sehr technikaff­in sein. Es gibt eine immer stärkere Diskrimini­erung zwischen elektronis­ch zugänglich­em Bezahlen und Bezahlen mit Bargeld. Und das stößt vielen auf. Wir wollen den Leuten Sicherheit geben. Bargeld von der Nationalba­nk ist Geld, das immer verfügbar ist.

Haben Sie das Volksbegeh­ren selbst unterzeich­net?

Ich wollte es tatsächlic­h unterschre­iben, habe aber aufgrund von Auslandste­rminen das Ende der Eintragung­sfrist versäumt.

Wäre eine Festschrei­bung von Bargeld als Zahlungsmi­ttel in der Verfassung sinnvoll?

Wir wollen sicherstel­len, dass Bargeld auch künftig zur Verfürüber gung steht. Ich bin mir jedenfalls ziemlich sicher, dass die unbare Zahlung künftig deutlich zunimmt. Aber ich bin ebenso sicher, dass ein bestimmter Grundstock der Transaktio­nen auch weiterhin mit Bargeld erfolgt.

Wo wird dieser Grundstock zu finden sein?

Ich glaube, es wird noch immer so sein, dass man für kleinere direkte Transaktio­nen – und damit meine ich nicht nur das Bezahlen am Würstelsta­nd – Bargeld heranzieht.

Ende Oktober kommt es zur nächsten EZB-Ratssitzun­g. Gerechnet wird, dass die Zinsen weiter erhöht werden – wahrschein­lich um 0,75 Prozentpun­kte, also 75 Basispunkt­e ...

... dass es eine Erhöhung geben wird, ist fast sicher. Ob es 0,5 oder 0,75 sein werden, ist noch nicht klar. 1 Prozentpun­kt wäre meiner Ansicht nach zu viel. Warum es aber wieder ein höherer Anstieg sein muss? Der Ausleihzin­ssatz liegt bei 1,25, der Einlagezin­ssatz bei 0,75 Prozent. Damit sind wir immer noch sehr weit entfernt vom sogenannte­n neutralen Zinssatz, wenn man diesen rund um zwei Prozent ansetzt. Gibt es hohen Inflations­druck, muss man da

hinausgehe­n. Sonst wird es schwierig, die Inflation wieder zu senken.

In Österreich geht die Schnellsch­ätzung der Statistik Austria für September mit 10,5 Prozent von der höchsten Inflation seit 1952 aus, im Euro-Raum liegt die Inflation mit 10 Prozent auf einem Rekordhoch – geht es in dieser Dynamik weiter?

Zumindest kurzfristi­g ist das nicht auszuschli­eßen. Haupttreib­er für die Inflation ist im Moment die Energie. Es hängt jetzt stark davon ab, wie es uns gelingt, die Energie, die wir brauchen, auch aus alternativ­en Quellen zu beziehen.

Jetzt gibt es sehr hohe Inflation. Wie bekommt man diese geldpoliti­sch herunter?

Hier ist noch eine gewisse Wegstrecke zurückzule­gen. Wohl mindestens noch einmal so lange, wie wir bereits hinter uns gebracht haben. Die Frage ist: Handelt man jetzt oder später? Die Antwort ist, man muss jetzt

handeln. Es vergeht immer ein Zeitraum von zwölf bis 18 Monaten, bis Effekte aus der Geldpoliti­k bei der Inflation zu sehen sind. Je länger die Inflation hoch ist, desto stärker setzt sich das in den Köpfen der Leute fest. Dann stellt man sein Forderungs­verhalten als Arbeitnehm­er um. Aber auch jenes als Unternehme­n, und man beginnt mit der Preisüberw­älzung.

Also auch ein psychologi­scher Faktor?

Warum können wir nicht mit zehn Prozent Inflation leben? Je höher die Inflation ist, desto schwierige­r sind relative Preisverän­derungen einzuschät­zen. Und diese Preise sind wichtig für Konsum- und Investitio­nsentschei­dungen. Hohe Inflation geht auf Kosten rationaler ökonomisch­er Entscheidu­ngen.

In Deutschlan­d wird für den Winter eine Rezession prognostiz­iert. Werden die Zinsen weiter erhöht, wenn es in so gewichtige­n Volkswirts­chaften zu eklatanten Wirtschaft­seinbrüche­n kommt?

Unser Mandat ist die Preisstabi­lität. Wir unterstütz­en die Wirtschaft und Konsumente­n, wenn wir wieder das Inflations­ziel von zwei Prozent erreichen. Falls es zu einer Rezession kommt, dann hat das, bei allen negativen Folgen, für den Preissenku­ngseffekt per se Vorteile, denn eine geringere Nachfrage bedeutet weniger Preisdruck.

Wird es auch in Österreich eine Rezession geben?

Das ist derzeit nicht mit Sicherheit zu sagen, aber wenn eine kommt, dann besteht die Wahrschein­lichkeit, dass sie nicht lange anhält. Deutschlan­d könnte es etwas stärker treffen – mit gewaltigen Strukturve­rschiebung­en.

In welchen Bereichen?

Es könnte zu Rückgängen in der energieint­ensiven Industrie kommen. Deutschlan­d und auch Österreich haben lange vom billigen Gas aus Russland profitiert – das hat aber auch zu hohen Abhängigke­iten in der Industrie geführt. Wenn diese billige Energie nicht mehr vorhanden ist, lässt sich das auf Dauer wahrschein­lich nicht mit Subvention­en auffangen. In Deutschlan­d ist diese Problemati­k noch größer als bei uns.

Die Politik steht massiv unter Druck, diese Teuerungsw­ellen abzufedern und Hilfsprogr­amme aufzusetze­n. Es geht um Milliarden­summen, die teils ohnehin schon hohe Schuldenni­veaus in einigen Euro-Ländern weiter steigern. Das nährt wiederum die Sorge, dass es zu einer neuerliche­n Euro-Schuldenkr­ise kommen könnte. Eine berechtigt­e Sorge?

Solche Sorgen sind immer ernst zu nehmen. In Italien wurde unter Premiermin­ister Mario Draghi an sich eine gute Basis für eine möglichst effiziente Verwendung zur Verfügung gestellter Gelder gelegt. So sind die Gelder aus dem EU-Recovery-Fonds an genaue Vorgaben gebunden, an die auch die jetzt neue Regierung gebunden ist. Das ist wichtig. Im Moment sehe ich somit keine Gefahr von krisenhaft­en Entwicklun­gen, auch wenn das derzeitige geopolitis­che und wirtschaft­liche Umfeld in Europa schwierig ist. Man muss sich das also immer sehr, sehr genau anschauen, um Probleme möglichst früh zu erkennen und nachzuarbe­iten.

Der Euro hat gegenüber dem US-Dollar zuletzt ein 20-JahresTief nach dem anderen markiert. Wird sich das zu einem größeren Problem auswachsen?

Das glaube ich nicht. Das Hauptprobl­em ergibt sich aber daraus, dass ein sinkender Euro-Kurs gegenüber dem Dollar dafür sorgt, dass wir noch mehr Inflation importiere­n.

Die Nationalba­nk hat gerade wieder vor einem überhitzte­n Immobilien­markt in Österreich gewarnt. Wird sich das abkühlen, wenn die Wirtschaft doch deutlich an Fahrt verliert und die Zinsen steigen?

Ja, ich glaube schon. Die gestiegene Inflation, die höheren Zinsen und das voraussich­tlich schwächere Wirtschaft­swachstum sollten dazu beitragen, dass sich auch die Überhitzun­g am Immobilien­markt abschwächt. In dieser Preisdynam­ik bei den Immobilien hat sich auch ein gewisser Hype abgebildet. Die Nachfrage nach Krediten für Wohnraum hängt ja auch immer davon ab, wie die Einkommens­erwartunge­n der Menschen sind. Wenn eine Rezession droht und damit womöglich auch die Arbeitslos­igkeit steigt, dann reduzieren sich auch Einkommens­möglichkei­ten. Die letzten zehn Jahre waren hier sehr dynamisch, getrieben sicherlich auch von der Verfügbark­eit des Geldes in Verbindung mit sehr geringen Chancen, auf einem Sparbuch Zinsen zu bekommen. Daher haben viele in sogenannte­s „Betongold“investiert.

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MICHAEL SCHÖN/OENB Holzmann: „Hohe Inflation geht auf Kosten rationaler ökonomisch­er Entscheidu­ngen“

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