„Solche Sorgen sindimmerernst zu nehmen“
INTERVIEW. In Österreich steigen die Preise so stark wie seit 1952 nicht mehr. NationalbankGouverneur Robert Holzmann über weitere Zinserhöhungen als Gegenmittel, staatliche Milliardenhilfen und „Vorteile“einer Rezession.
Mehr als eine halbe Million Menschen haben gerade das Volksbegehren für ein Recht auf Bargeld unterschrieben – so viele wie bei keinem anderen der jüngsten Volksbegehren. Woher rührt aus Ihrer Sicht die Sorge, dass Bargeld abgeschafft werden könnte? ROBERT HOLZMANN: Ich finde es grundsätzlich gut, dass Bargeld offensichtlich sehr beliebt ist. Die Hintergründe sind divers, aber sicher ist es auch eine Generationenfrage. Heutzutage muss man bei zahlreichen Transaktionen schon sehr technikaffin sein. Es gibt eine immer stärkere Diskriminierung zwischen elektronisch zugänglichem Bezahlen und Bezahlen mit Bargeld. Und das stößt vielen auf. Wir wollen den Leuten Sicherheit geben. Bargeld von der Nationalbank ist Geld, das immer verfügbar ist.
Haben Sie das Volksbegehren selbst unterzeichnet?
Ich wollte es tatsächlich unterschreiben, habe aber aufgrund von Auslandsterminen das Ende der Eintragungsfrist versäumt.
Wäre eine Festschreibung von Bargeld als Zahlungsmittel in der Verfassung sinnvoll?
Wir wollen sicherstellen, dass Bargeld auch künftig zur Verfürüber gung steht. Ich bin mir jedenfalls ziemlich sicher, dass die unbare Zahlung künftig deutlich zunimmt. Aber ich bin ebenso sicher, dass ein bestimmter Grundstock der Transaktionen auch weiterhin mit Bargeld erfolgt.
Wo wird dieser Grundstock zu finden sein?
Ich glaube, es wird noch immer so sein, dass man für kleinere direkte Transaktionen – und damit meine ich nicht nur das Bezahlen am Würstelstand – Bargeld heranzieht.
Ende Oktober kommt es zur nächsten EZB-Ratssitzung. Gerechnet wird, dass die Zinsen weiter erhöht werden – wahrscheinlich um 0,75 Prozentpunkte, also 75 Basispunkte ...
... dass es eine Erhöhung geben wird, ist fast sicher. Ob es 0,5 oder 0,75 sein werden, ist noch nicht klar. 1 Prozentpunkt wäre meiner Ansicht nach zu viel. Warum es aber wieder ein höherer Anstieg sein muss? Der Ausleihzinssatz liegt bei 1,25, der Einlagezinssatz bei 0,75 Prozent. Damit sind wir immer noch sehr weit entfernt vom sogenannten neutralen Zinssatz, wenn man diesen rund um zwei Prozent ansetzt. Gibt es hohen Inflationsdruck, muss man da
hinausgehen. Sonst wird es schwierig, die Inflation wieder zu senken.
In Österreich geht die Schnellschätzung der Statistik Austria für September mit 10,5 Prozent von der höchsten Inflation seit 1952 aus, im Euro-Raum liegt die Inflation mit 10 Prozent auf einem Rekordhoch – geht es in dieser Dynamik weiter?
Zumindest kurzfristig ist das nicht auszuschließen. Haupttreiber für die Inflation ist im Moment die Energie. Es hängt jetzt stark davon ab, wie es uns gelingt, die Energie, die wir brauchen, auch aus alternativen Quellen zu beziehen.
Jetzt gibt es sehr hohe Inflation. Wie bekommt man diese geldpolitisch herunter?
Hier ist noch eine gewisse Wegstrecke zurückzulegen. Wohl mindestens noch einmal so lange, wie wir bereits hinter uns gebracht haben. Die Frage ist: Handelt man jetzt oder später? Die Antwort ist, man muss jetzt
handeln. Es vergeht immer ein Zeitraum von zwölf bis 18 Monaten, bis Effekte aus der Geldpolitik bei der Inflation zu sehen sind. Je länger die Inflation hoch ist, desto stärker setzt sich das in den Köpfen der Leute fest. Dann stellt man sein Forderungsverhalten als Arbeitnehmer um. Aber auch jenes als Unternehmen, und man beginnt mit der Preisüberwälzung.
Also auch ein psychologischer Faktor?
Warum können wir nicht mit zehn Prozent Inflation leben? Je höher die Inflation ist, desto schwieriger sind relative Preisveränderungen einzuschätzen. Und diese Preise sind wichtig für Konsum- und Investitionsentscheidungen. Hohe Inflation geht auf Kosten rationaler ökonomischer Entscheidungen.
In Deutschland wird für den Winter eine Rezession prognostiziert. Werden die Zinsen weiter erhöht, wenn es in so gewichtigen Volkswirtschaften zu eklatanten Wirtschaftseinbrüchen kommt?
Unser Mandat ist die Preisstabilität. Wir unterstützen die Wirtschaft und Konsumenten, wenn wir wieder das Inflationsziel von zwei Prozent erreichen. Falls es zu einer Rezession kommt, dann hat das, bei allen negativen Folgen, für den Preissenkungseffekt per se Vorteile, denn eine geringere Nachfrage bedeutet weniger Preisdruck.
Wird es auch in Österreich eine Rezession geben?
Das ist derzeit nicht mit Sicherheit zu sagen, aber wenn eine kommt, dann besteht die Wahrscheinlichkeit, dass sie nicht lange anhält. Deutschland könnte es etwas stärker treffen – mit gewaltigen Strukturverschiebungen.
In welchen Bereichen?
Es könnte zu Rückgängen in der energieintensiven Industrie kommen. Deutschland und auch Österreich haben lange vom billigen Gas aus Russland profitiert – das hat aber auch zu hohen Abhängigkeiten in der Industrie geführt. Wenn diese billige Energie nicht mehr vorhanden ist, lässt sich das auf Dauer wahrscheinlich nicht mit Subventionen auffangen. In Deutschland ist diese Problematik noch größer als bei uns.
Die Politik steht massiv unter Druck, diese Teuerungswellen abzufedern und Hilfsprogramme aufzusetzen. Es geht um Milliardensummen, die teils ohnehin schon hohe Schuldenniveaus in einigen Euro-Ländern weiter steigern. Das nährt wiederum die Sorge, dass es zu einer neuerlichen Euro-Schuldenkrise kommen könnte. Eine berechtigte Sorge?
Solche Sorgen sind immer ernst zu nehmen. In Italien wurde unter Premierminister Mario Draghi an sich eine gute Basis für eine möglichst effiziente Verwendung zur Verfügung gestellter Gelder gelegt. So sind die Gelder aus dem EU-Recovery-Fonds an genaue Vorgaben gebunden, an die auch die jetzt neue Regierung gebunden ist. Das ist wichtig. Im Moment sehe ich somit keine Gefahr von krisenhaften Entwicklungen, auch wenn das derzeitige geopolitische und wirtschaftliche Umfeld in Europa schwierig ist. Man muss sich das also immer sehr, sehr genau anschauen, um Probleme möglichst früh zu erkennen und nachzuarbeiten.
Der Euro hat gegenüber dem US-Dollar zuletzt ein 20-JahresTief nach dem anderen markiert. Wird sich das zu einem größeren Problem auswachsen?
Das glaube ich nicht. Das Hauptproblem ergibt sich aber daraus, dass ein sinkender Euro-Kurs gegenüber dem Dollar dafür sorgt, dass wir noch mehr Inflation importieren.
Die Nationalbank hat gerade wieder vor einem überhitzten Immobilienmarkt in Österreich gewarnt. Wird sich das abkühlen, wenn die Wirtschaft doch deutlich an Fahrt verliert und die Zinsen steigen?
Ja, ich glaube schon. Die gestiegene Inflation, die höheren Zinsen und das voraussichtlich schwächere Wirtschaftswachstum sollten dazu beitragen, dass sich auch die Überhitzung am Immobilienmarkt abschwächt. In dieser Preisdynamik bei den Immobilien hat sich auch ein gewisser Hype abgebildet. Die Nachfrage nach Krediten für Wohnraum hängt ja auch immer davon ab, wie die Einkommenserwartungen der Menschen sind. Wenn eine Rezession droht und damit womöglich auch die Arbeitslosigkeit steigt, dann reduzieren sich auch Einkommensmöglichkeiten. Die letzten zehn Jahre waren hier sehr dynamisch, getrieben sicherlich auch von der Verfügbarkeit des Geldes in Verbindung mit sehr geringen Chancen, auf einem Sparbuch Zinsen zu bekommen. Daher haben viele in sogenanntes „Betongold“investiert.