Das große Zittern im schwarzen Kernland
Selten zuvor hatte eine Landtagswahl in einem solchen Ausmaß den Charakter eines bundespolitischen Stimmungstests wie die heutige – von Oberösterreich im Herbst 2015 einmal abgesehen, als die Flüchtlingskrise bei der Landtagswahl alles auf den Kopf gestellt hat. Der heutige Urnengang in Niederösterreich wird überlagert von der unverschämten Teuerung, die die Energie- und Wohnkosten in die Höhe treibt und vielen Menschen schwer zu schaffen macht, Abstiegsängsten in der Mittelschicht und einem tiefen Misstrauen in die Handlungsfähigkeit der etablierten Politik.
Wenn heute Abend bald nach 17 Uhr die ersten Hochrechnungen von Sora (ORF) oder Hajek (Puls, ATV) auf den Bildschirmen aufpoppen, werden alle Blicke auf die Balkengrafiken gerichtet sein, die Antworten auf mehrere Schlüsselfragen, die politische Beobachter, vor allem aber die Parteizentralen in Wien und St. Pölten, in den letzten Wochen intensiv beschäftigt haben, liefern werden: Wie groß fällt das Minus der ÖVP in ihrem schwarzen Kernland aus? Wackelt sogar der Sessel der Landeshauptfrau? Wie tief dringt die FPÖ in schwarzen Bastionen im Wald-, Wein-, Most- und Industrieviertel vor? Rutscht die SPÖ auch in Niederösterreich – wie bereits in Tirol, Oberösterreich, Vorarlberg und wahrscheinlich im Mai auch in Salzburg – auf Platz drei, hinter die FPÖ?
Die Ausgangssituation für ÖVP-Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner ist keine einfache. Bei ihrem ersten Antreten im Jänner 2018 landete die Nachfolgerin des unumschränkt herrschenden, mit absoluter Mehrheit ausgestatteten Landesfürsten Erwin Pröll bei 49,6 Prozent, das Minus fiel mit 1,16 Prozentpunkten bescheiden aus. Die Gründe waren weniger Mikl-Leitners Beliebtheitswerten, sondern dem Kurz-Effekt geschuldet. Sebastian Kurz sorgte in seiner Hochphase als Kanzler und ÖVP-Chef bei nahezu allen Landtagswahlen für einen kräftigen Rückenwind. Nun bläst der niederösterreichischen ÖVP ein Gegenwind aus dem Bund ins Gesicht. Das Paradox dabei: An den Schalthebeln in Wien sitzen fast ausschließlich Niederösterreicher. Karl Nehammer ist zwar gebürtiger Wiener, wurde allerdings in St. Pölten politisch sozialisiert. Aus Niederösterreich stammen Parlamentspräsident Wolfgang Sobotka, die beiden Schlüsselminister Gerhard Karner und Klaudia Tanner, beide ÖVP-Generalsekretäre Christian Stocker und Andreas Pröll sowie die beiden Kanzlersprecher Daniel Kosak und Daniela Hausberger. Kurz-Mastermind Gerald Fleischmann, der Nehammer berät, ist zwar gebürtiger Burgenländer, seine politischen Lehrjahre absolvierte er ebenso in St. Pölten. ntscheidend ist heute das Ausmaß des schwarzen Minus. Fällt die Volkspartei unter 40 Prozent, wovon nur wenige Beobachter wirklich ausgehen, könnte Mikl-Leitner die Mehrheit im Landtag wie auch in der neunköpfigen Landesregierung (derzeit sechs ÖVP-Sitze) verlieren. Dass die ÖVP bis zuletzt das blau-rote Schreckgespenst an die Wand gemalt hat, ist reine Parteitaktik und sollte einen mobilisierenden Effekt entfachen. Allerdings zeigt ein Blick in die jüngere Vergangenheit, dass keine Panik angebracht ist: In Tirol hat die ÖVP im Herbst zehn Prozentpunkte verloren, und die Welt hat sich dennoch
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