Modefarbe blau
Die FPÖ zehrt von der Anti-Establishment-Stimmung im Land, schwachen Mitte-Parteien und einem Bundespräsidenten, der ohne Not zum Abwehrkampf blies.
Wenn die Umfragen nicht trügen, werden die heutigen Wahlen in Niederösterreich ein getreues Abbild der Verhältnisse im Land zeichnen. Zu besichtigen ist eine im Abwärtskanal befindliche Volkspartei, deren Machtfülle redimensioniert wird. Sie wird die Macht behalten und die Allmacht einbüßen, das ist gut und gesund. Viele der Stimmen werden zur wiedererstarkten FPÖ wandern. Das sind die bestimmenden Sogkräfte. Bei den anderen Parteien links der Mitte wirkt zur Zeit gar keine Physik, es wird sein wie in Tirol. In krisenhaften Zeiten der Übellaunigkeit kanalisieren die Freiheitlichen den Protest am einträglichsten. Grant biegt in Österreich rechts ab, eine Konstante.
Das hat auch mit der SPÖ zu tun, die auf Bundesebene über keinen Sprachkanal mehr zu den Verunsicherten und sozial Gefährdeten verfügt. Sie hat ihr proletarisches Aroma und Erbe verspielt. Die Partei zeigt auch keinerlei Ehrgeiz, es zurückgewinnen zu wollen. Sonst wäre ein Satz wie „Es gibt kein Asylproblem“nie möglich gewesen. Die, die früher sozialdemokratisch wählten, spüren es: Das, was sich im Protest an Identitätsund Verlustängsten artikuliert, ist der SPÖ zu unfein.
Diese Entfremdung hat die FPÖ groß gemacht, bis sie sich in der Verantwortung selbst wieder klein machte und demolierte, weil sie ihr noch nie gewachsen war. Und wenn sie klein und marginalisiert ist, pumpt sie eine Melange an Stimmungs- und Themenlagen wieder auf, egal, was war. Am meisten nützen ihr der Eindruck unbewältigter Zuwanderung und eine wuchernde AntiEstablishment-Stimmung. Die Leute wählen die FPÖ nicht um ihrer selbst willen, sondern um „die da oben“abzumahnen. Dieser Bestrafungsimpuls ist das Elixier der Blauen. Sie sind aus der Perspektive der Wähler Transformatoren des Zorns, Förderbänder, aber selten selbst gemeint. Deshalb ist es sinnvoller, sich mit dem Zorn auseinanderzusetzen als die Bewirtschafter des Zorns ungeachtet ihres Zuspruchs bei Wahlen aus moralischen Gründen von der Macht fernhalten zu wollen. Sie isolieren sich ohnehin selbst, weil sie für die Macht Bündnispartner brauchen. it Herbert Kickl an der Spitze wird niemand koalieren, das geht sich nicht mehr aus, und ein denkbares Bündnis mit Gemäßigteren innerhalb des Anstandsbogens sollte ein Bundespräsident, wie die Erfahrung lehrt, nicht allzu offensiv zum persönlichen Abwehrkampf hochstilisieren, schon gar nicht ohne Dringlichkeit. So macht man sich vor der wichtigsten Wahl des Jahres zum Komplizen derer, die man fernzuhalten trachtet. Man öffnet ihnen ein Einfallstor, um sich im Märtyrer-Gewand mit dem „Volk“zu solidarisieren gegen „die da oben“. Zum Glück verrutschte beim verweigerten Beifall nach der (famosen) Vereidigungsrede des Bundespräsidenten die Maske und offenbarte, was darunter ist: blanke Verächtlichkeit. Die FPÖ ist vieles, nur keine bürgerliche Partei.
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