Kleine Zeitung Kaernten

„Ich hoffe, dass es anderen Mut macht“

Daniel Gunz hat als Jugendlich­er sexuelle Gewalt erlebt. Was er zum Fall Teichtmeis­ter sagt und warum er lange Angst hatte, selbst Täter zu werden.

- Von Anna Stockhamme­r

Es ist Herbst, Daniel Gunz ist 13 Jahre alt. Mit Freunden aus der Schule geht er zum Jugendtref­f in seinem Ort. Der Betreuer dort ist nett zu ihm. Ausgerechn­et zu ihm. „Er hat sich immer die ausgesucht, die ein bisschen die Außenstehe­nden waren, die nicht so in die Gruppe integriert waren. Da hat er wahrschein­lich das Gefühl gehabt, er hat die besten Möglichkei­ten“, erzählt Daniel Gunz heute, fast 20 Jahre später. Er sitzt auf einer Bank im Wiener Rathauspar­k, hinter ihm lugt das Burgtheate­r hinter den Bäumen hervor.

Nein, der Fall Teichtmeis­ter sei nicht mit seinem eigenen zu vergleiche­n, sagt Daniel Gunz. So hat es der 32Jährige auch vor Kurzem auf Twitter formuliert. Aber er habe sich als Betroffene­r von sexueller Gewalt ein paar Gedanken gemacht, schreibt er auf der Plattform. Mehr als 110.000 Personen lesen den

Tweet. Daniel Gunz teilt seine Geschichte, spricht offen darüber. Der Fall Teichtmeis­ter lässt ihn das, was ihm angetan wurde, noch einmal durchleben.

Der Jugendbetr­euer lädt ihn und andere Kinder damals zu Spieleaben­den ein. Damit gewinnt er das Vertrauen des 13-Jährigen. Wenn so viele da sind, passiert ja eh nichts, gaukelt er ihm vor. Doch das Verhältnis zwischen dem Mann und dem Buben wird intensiver und intensiver.

Drei Mal versucht Gunz, sich zu lösen. „Jedes Mal hat er mich wieder eingewicke­lt.“Man verstehe sich ja so gut, was denn passiert sei, fragt der Betreuer. „Ich will nur weg“, denkt Gunz. Der dritte Versuch gelingt. Es ist der Sommer des nächsten Jahres. Von heute auf morgen bricht Gunz den Kontakt ab. Es beginnt das große Verdrängen. „Ich habe gedacht, ich werde es schon verges

sen, es war nicht so schlimm.“Seine Hände liegen im Schoß, gefaltet. Er spricht mit ruhiger Stimme.

Mit 23 Jahren bekommt er starke Schlafstör­ungen. Über Jahre zieht sich das hin. „Was passiert war, ist mir immer wieder in den Kopf gekommen.“Irgendwann taucht die Frage auf, wann sein Fall verjähren würde. Als die Frist immer näher rückt, entschließ­t er sich zur Anzeige. Eine Freundin bestärkt ihn. Ihm wird klar: „Das war nicht nichts.“14 Jahre sind da schon vergangen. 2019 – ein Jahr nach der Anzeige – wird der Betreuer zu acht Jahren Haft verurteilt. Daniel Gunz ist einer von sieben Buben. Der Betreuer gibt zu, sich von 2000 bis 2018 an ihnen vergangen zu haben.

Heute will Gunz nicht, dass man ihn als Opfer sieht. „Klar, als es passiert ist, war ich ein Opfer.“Aber nun vermittle ihm das Wort, „dass der Täter immer noch da ist, dass der mich kleindrück­t, irgendeine Macht über mich hat.“Betrachtet er sich hingegen als Betroffene­r, „nehme ich dem Ganzen die Kraft raus“. Daniel Gunz weiß, was bestimmte Wörter bei denen, die Gewalt erfahren haben, auslösen können. So vermittle Kinderporn­ografie durch das Wort Pornografi­e etwas Legales.

Oft wird auch berichtet, dass viele Täter selbst Opfer sexueller Gewalt waren. „Ich habe das schon früh gehört, als Jugendlich­er kann man das nicht so differenzi­eren.“Daniel Gunz hatte Angst, dass er selbst einmal zum Täter werden könnte. Er traute sich nicht, mit seinen Nichten und Neffen zu spielen. Berührunge­n vermied er. „Um gar nie erst damit in Verbindung gebracht werden zu können.“Es wäre wichtig, immer dazu zu sagen, dass nicht jedes Opfer auch zum Täter wird. Gerade Medien könnten hier und im

Wortgebrau­ch generell die „Vorreiterr­olle“einnehmen.

Dass sexuelle Gewalt an Kindern immer noch ein gesellscha­ftliches Tabuthema ist, führe „dazu, dass sich viele Menschen nicht trauen, darüber zu sprechen“, sagt Gunz. Der Fall Teichtmeis­ter könnte etwas verändern. Er hat mit seiner Prominenz viel Aufmerksam­keit gebracht. „Ich hoffe, dass diese nicht so schnell wieder verschwind­et. Weil es gibt neben Teichtmeis­ter viel zu viele, von denen wir nicht wissen. Oder sogar von denen wir auch schon wissen.“

Daniel Gunz hat Jahre gebraucht, um zu überwinden, was ihm passiert ist. Psychologi­sche Betreuung, Sport und sein Studium haben geholfen. „Ich habe mich da so reingehaut, das hat mir gezeigt, ich kann was erreichen. Irgendwann wird es dann besser.“Gunz ist Historiker geworden. Er schreibt seine Doktorarbe­it im Fach Geschichte an der Uni Wien. Er steht zu seiner Geschichte: „Ich hoffe, dass es anderen Mut macht, wenn ich mich zeige, wenn ich darüber spreche. Man kann das überwinden. Es ist schlimm, was einem passiert, aber das heißt nicht, dass das dein ganzes Leben bestimmen muss.“

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KLEINSASSE­R (3) Daniel Gunz lebt als Historiker in Wien und arbeitet an seiner Doktorarbe­it. Er erzählt offen seine Geschichte

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