„Wir müssen uns breiter aufstellen“
INTERVIEW. Claudia Mischensky, Geschäftsführerin der Industriellenvereinigung in Kärnten, über Abhängigkeit von Leitbetrieben und ihre Erwartungen an die Politik.
Die Industriellenvereinigung Österreich sagt, eine größere Krise ist abgewendet, ab Jahresmitte ist sogar wieder Wachstum in Sicht. In Kärnten scheint die Stimmung gedämpfter? CLAUDIA MISCHENSKY: Wir sind momentan geprägt durch ein tägliches Entscheiden und enorme Unsicherheit. Deshalb sind wir zu dem Fazit gekommen, dass das erste halbe Jahr noch schwierig sein wird. Darüber hinaus ist der Ausblick gut, auch in Kärnten.
Sie haben vor einigen Monaten gesagt, die Energiekrise hat Potenzial, teilweise eine Deindustrialisierung auszulösen.
Die Energiesituation ist enorm schwierig für die Unternehmen. Sie hat sich aber insofern etwas entschärft, dass es umfassende Förderpakete gibt.
Wie wichtig ist die Industrie für Kärnten? Sind wir nicht eher Tourismusland?
Kärnten ist ein Industrieland. Das ist kein Widerspruch zum Tourismus. Aber die Wertschöpfung und Beschäftigung kommt aus der Industrie. Ich sehe es jedoch als Asset des Bundeslandes, wenn wir sagen können, wir haben eine innovative und international konkurrenzfähige Industrie und gleichzeitig können wir den Mitarbeitern, die sich zukünftig aussuchen werden, wo sie leben und arbeiten wollen, einen attraktiven Arbeits-, Lebensund Bildungsstandort bieten. Einige Hausaufgaben sind aber noch zu machen.
Welche Hausaufgaben?
Wir sprechen seit vielen Jahren darüber, dass wir uns die Wertschöpfungsketten ansehen müssen. Wenn wir jetzt von Lieferkettenproblematiken sprechen, ist es wichtig zu sehen, wo wir in Kärnten Lücken in den Wertschöpfungsketten haben, und wo es Sinn macht, Unternehmen, die wir schon haben, auszubauen oder Unternehmen anzusiedeln. So kann gezielte Ansiedlungspolitik erfolgen, damit ein gut funktionierendes mittelständisches Umfeld für Leitbetriebe da ist.
Gibt es im Hochschulbereich Verbesserungspotenzial?
Unsere Hochschulen sind grundsätzlich gut aufgestellt. International findet derzeit aber ein Bemühen um Studierende statt. Und in einigen Bereichen wäre räumlich und inhaltlich noch eine bessere Abstimmung zwischen Fachhochschule und Universität wünschenswert. Es geht darum, nicht doppelgleisige Angebote zu haben. Gleichzeitig müssen neue geschaffen werden, die Kärnten als Standort interessant machen und die Studierende nicht nur aus anderen Bundesländern, sondern aus dem internationalen Umfeld anziehen. FH und Uni sind mit ihren Inhalten am Puls der Zeit, aber es geht immer noch ein bisschen mehr.
Wie abhängig ist die Wirtschaft in Kärnten von Leitbetrieben wie Infineon? Wird unsere Forschungs- und Entwicklungsquote durch Infineon geschönt?
Absolut. Wenn wir in den vergangenen Jahren stolz waren, dass wir auf Rang drei oder vier bei der Forschungsquote waren, dann muss man auch sehen, dass wir eine sehr enge Forschungsspitze haben. Es ist enorm wichtig, dass wir Leitbetriebe haben, weil diese in ihrem Sog viele mittelständische Unternehmen mitnehmen. Umgekehrt bringen die mittelständischen Betriebe wertvolle innovative Impulse für Leitbetriebe. Aber: Ja, wir müssen uns breiter aufstellen, brauchen eine breitere Basis an forschenden und entwickelnden Unternehmen. Derzeit haben wir 220 forschende Einheiten, inklusive Universitäten und Forschungseinrichtungen. Wir müssen aber auf mindestens 350 bis 400 kommen. Es gibt im Übrigen kein anderes Bundesland, das ei
nen Betrieb hat, der so wichtig ist für die Wertschöpfung des Landes wie Infineon für Kärnten.
Ist der Fachkräftemangel eine Wachstumsbremse?
Das Finden von qualifizierten Mitarbeitern ist das Topthema. Und es ist in einigen Unternehmen zum wachstumslimitierenden Faktor geworden. Wir wissen in Kärnten seit Jahren, dass wir eine herausfordernde demografische Situation haben. Es braucht einen Masterplan für qualifizierten Zuzug. Bis 2030 werden uns knapp 30.000 Personen im erwerbsfähigen Alter fehlen. Es wird immer wieder darüber gesprochen, dass es so ist, aber wir müssen endlich ins Tun kommen. Mitarbeiter gezielt anzuwerben, ist eine absolute Notwendigkeit.
Fehlen zum Teil die Frauen in Vollzeitjobs?
Die Hälfte der Frauen, die in Kärnten erwerbstätig sind, ist in Teilzeitjobs. Sie fehlen in den Unternehmen. Es müssen Anreize geschaffen werden, von Teilzeit in Vollzeit zu gehen. Das geht aber nur, wenn Kinderbetreuungseinrichtungen zur Verfügung stehen, die auch bei Schließ- und Öffnungszeiten flexibel sind. Man muss auch offen sein für neue Modelle wie Betriebstagesmütter.
Was ist Ihre Erwartungshaltung im Bereich der Erneuerbaren Energien an eine neue Landesregierung nach dem 5. März?
Wir haben in Kärnten einen Energiemasterplan, der vor vielen Jahren unter anderen Voraussetzungen entstanden ist. Wir brauchen jetzt einen Plan mit klaren Zielen und den Ausbau in allen Bereichen der Erneuerbaren, insbesondere Wind und Sonne. Wichtig ist es, konkret zu sagen, wo was in welcher Form passiert. Kärnten ist das viertstärkste Windland in Österreich. Es braucht klar definierte Flächen für die
Ausbaupläne – auch in der Photovoltaik. Und es braucht PV in der Freifläche. Das alles Entscheidende ist aber die Schaffung der Leitungsinfrastruktur.
Gibt es noch andere Forderungen in Richtung Politik?
Wichtig ist das Thema der Verfahrensgestaltung. Wenn Umweltverträglichkeitsprüfungen viele Jahre dauern, ist das ein Hemmschuh. Verfahrensbeschleunigungen und -vereinfachungen sind der Punkt. Eine neue Landesregierung muss mutig in Strukturveränderungen gehen, und zwar gerade im Bereich Standortmarketing. Das muss künftig aus einer Hand passieren – vom Tourismus bis hin zu Betriebsansiedlung, Industrie und Forschung sowie Bildung.
Wie wird die Koralmbahn Kärnten als Wirtschaftsstandort verändern?
Es wird für Kärnten entscheidend sein, wie wir uns auf den veränderten Raum vorbereiten, und uns gemeinsam mit der Steiermark als Zentralraum im Süden von Österreich positionieren, auch in Bezug auf Mitarbeiter. Dieser Zug muss in beide Richtungen besetzt sein.
Braucht Kärnten einen Flughafen?
Der stark exportorientierte Industriestandort braucht dringend den Flughafen und die Anbindung an ein internationales Flugdrehkreuz.