Zuflucht in den Wärmestuben
Russland greift die Energieinfrastruktur an; die Menschen rücken zusammen.
Mein Handy klingelt, ich antworte kurz: „Ich habe heute die Freiwilligen-Schicht im ‚Punkt der Unbesiegbarkeit‘ übernommen.“„Wo hast du Schicht?“, fragt meine Freundin aus Heidelberg sehr erstaunt. „Punkte der Unbesiegbarkeit“sind Orte, an denen ein Generator läuft, und Wärme, Wasser, Strom, mobile Kommunikation und Internet verfügbar sind. Völlig kostenlos und rund um die Uhr. Sie wurden nach den russischen Angriffen auf die kritische Infrastruktur der Ukraine eingerichtet und befinden sich sowohl in den
Zelten des Rettungsdienstes als auch in vielen Schulen und Verwaltungsgebäuden.
Ich habe Glück, heute gibt es in unserer Wärmestube nicht so viele Leute, weil es in diesem Viertel in den letzten zwei Stunden keinen
Stromausfall gab. Sonst wären die Warteschlangen lang.
Trotzdem kommen einige
Menschen aus anderen
Stadtteilen zu mir. Ein älterer Mann möchte sein Handy aufladen und, wie er sagt, „sich bezüglich der Nachrichten auf den neuesten Stand bringen“. Eine junge Frau hat wegen der Stromausfälle keine funktionierende Heizung und sucht bei uns Wärme.
V or Kurzem hat das zweite Schulsemester begonnen; nicht alle haben wegen der täglichen stundenlangen Stromausfälle die Möglichkeit, von zu Hause aus zu lernen oder zu arbeiten. Deshalb sind die Wärmestuben für viele die Rettung. Obwohl es in der Stadt immer mehr Schulen mit Luftschutzkeller gibt, lernen die meisten Schüler online. Nach zwei Jahren Pandemie und elf Monaten Krieg mangelt es nicht an Instrumenten. Der 14-jährige Olexiy zeigt mir auf seinem Handy eine App, wo das Unterrichtsmaterial in allen Fächern direkt auf das Gerät heruntergeladen wird; das Kind kann auch ohne Licht und Internet lernen, was in letzter Zeit sehr oft passiert.