„Sozialer Ausgleich ist eine gute Medizin“
Immer mehr junge Menschen erleben psychische Krisen. Was von öffentlicher Seite getan werden muss, um dagegenzuhalten, und wie Eltern ihren Nachwuchs bestmöglich unterstützen können.
Die Frage danach, wie es Kindern und Jugendlichen in Österreich geht, hat mit der Pandemie eine neue Dimension erhalten. Diese Krise hat das Augenmerk darauf gelenkt, dass immer mehr junge Menschen psychisch stark belastet sind – nicht selten sind auch psychische Erkrankungen wie Angst- und Essstörungen sowie Depressionen die Folge. Das zeigte zuletzt auch eine über zwei Jahre durchgeführte Tiroler Online-Umfrage. Dieser zufolge zeigt etwa ein Drittel der jungen Menschen klinisch manifeste Ängste, die behandlungsbedürftig sind.
„Diese Generation hat – wie keine andere seit dem Zweiten Weltkrieg – große Krisen miterlebt. Und das führt eben auch zu großer emotionaler Belastung“, sagt Hedwig Wölfl. Sie ist Klinische und Gesundheitspsychologin, Psychotherapeutin sowie
Leiterin bei „die möwe“(Kinderschutz).
Eine zentrale Rolle spielen dabei vor allem die Pandemie und die Klimakrise. Aber auch Ereignisse wie die Me-too-Bewegung, der Krieg in Europa und die damit verbundenen finanziellen Folgen für viele Familien wirken sich auf die Gesundheit junger Menschen aus.
Das heiße aber nicht, dass jedes Kind, jeder Jugendliche aktuell mit einer psychischen Krise oder Krankheit zu kämpfen hat, sagt Martin Schenk, Psychologe und Sozialexperte der Diakonie Österreich: „Ein Großteil der österreichischen Kinder und Jugendlichen kommt mit diesen Krisen zurecht. Diese jungen Menschen wissen, welche Unterstützung sie daheim haben, wo sie sich sicher fühlen, wo die Ressourcen sind, die sie in solchen Situationen brauchen. Aber ein gewisser Teil der Kinder und Jugendlichen ist verletzlicher, hat weniger Reserven und keine Ressourcen.“Das treffe auf etwa 15 Prozent der jungen Menschen in Österreich zu.
Ein größeres Risiko tragen vor allem auch jene Kinder und Jugendliche, die aus ökonomisch schwächeren Familien stammen. Für diese stellt sich durch diese Krisen verstärkt die Frage, ob eine gute Zukunft möglich ist – auch Sorgen bezüglich der Teuerungen bekommen die jungen Menschen über ihre Eltern mit. Dazu kommt: Leben Erwachsene unter der Armutsgrenze, wirkt sich das nachweislich auch auf die körperliche Gesundheit aus, erklärt Schenk: „Der negative Stress, dem die Mütter während der Schwangerschaft dadurch ausgesetzt sind, wirkt sich auch hormonell aus. Dadurch kommen diese Babys im Schnitt schon kleiner auf die Welt. Das zeigt auch: Sozialer Ausgleich ist eine gute Medizin.“
Aber medizinische Hilfe – sei es Psychotherapie oder auch Physio- und Logotherapie – ist viel zu oft auch eine Frage des Geldes. Denn Kassenplätze sind Mangelware. „Schon vor der Pandemie gab es etwa im Hinblick auf Psychotherapie lange Wartezeiten. Dieses Problem hat sich durch die Krisen und deren Folgen jetzt noch potenziert“, so Schenk. Einerseits fehle also Versorgung für jene, die sich keinen privaten Therapieplatz leisten können und andererseits gäbe es auch starke regionale Unterschiede. So fehlen im ländlichen Bereich und vor allem auch im Westen Österreichs deutlich mehr kassenfinanzierte Therapieplätze.
Will man die Situation für junge Menschen in psychischen Krisen und mit psychischen Erkrankungen in Österreich verbessern, reiche ein reines Aufstocken dieser Plätze nicht aus: „Hat ein Kind beispielsweise Ängste, müsste man immer auch mit dem Bezugssystem arbeiten – also mit den Eltern und eventuell auch mit den Lehrpersonen“, sagt Wölfl.
Aber was kann man in diesen Zeiten selbst als Elternteil oder erwachsene Vertrauensperson tun, um die psychische Gesundheit von Kindern und Jugendlifachliche chen zu unterstützen? „Im Hinblick auf psychische Gesundheit sind Liebe, Zuwendung und Nähe für Kinder essenziell. Eine zugewandte, bedürfnisorientierte und feinfühlige Versorgung von Kindern ist eigentlich überlebensnotwendig“, sagt Wölfl. Auch Schenk betont: „Man sollte immer mit dem Kind in Kontakt bleiben. Ganz egal, wie die Situation gerade ist – auch wenn es Streit gibt oder Ähnliches. Der Nachwuchs muss immer wissen, dass er lieb gehabt wird – auch dann, wenn ein Elternteil gerade gekränkt ist. Wenn das gelingt, ist schon viel erreicht.“
Und: Kinder sollten das Gefühl haben, mit all ihren Sorgen das Gespräch mit den Eltern suchen zu können – vor allem auch dann, wenn sie glauben, etwas falsch gemacht zu haben: „Egal ob Kinder und Jugendliche etwas Schlimmes erlebt haben oder selbst etwas getan haben, das grundsätzlich falsch ist: Sie müssen das Gefühl haben, dass sie den Erwachsenen dennoch davon erzählen können, ohne verurteilt zu werden“, so Wölfl.