Kleine Zeitung Kaernten

Das Comeback der FPÖ – einbinden oder ausgrenzen?

THURNHER kontr@ FLEISCHHAC­KER Ein Wortgefech­t ohne Sichtkonta­kt. Die Kontrahent­en sitzen vor ihren Laptops, schärfen Argumente und gehorchen drei Regeln:

- Über den FPÖ-Wahlkampfa­uftakt mit Herbert Kickl in Kärnten lesen Sie auf Seite 10/11.

MICHAEL FLEISCHHAC­KER: Immer dann, wenn das freiheitli­che Murmeltier von der Spitze der Meinungsum­fragen herabgrüßt, fragt sich das moralische Österreich, wie das denn wieder passieren konnte. Dabei weiß es eigentlich jeder: Es konnte passieren, weil man den Freiheitli­chen schon zum dritten Mal das Opposition­smonopol überlassen hat. In den 90 Jahren in Bezug auf den kaputten und korrupten Kammer- und Proporzsta­at plus „Ausländer“, dann wieder in der Migrations­krise 2015, jetzt in der Pandemiepo­litik. Wenn alle Parteien jeden, der die Welt ein bisschen anders sieht als Armin Wolf und Florian Klenk, als Nazi klassifizi­eren, darf ich mich nicht wundern, dass irgendwann einmal keiner mehr etwas dabei findet, die FPÖ zu wählen. Ich darf Sie, lieber Herr Thurnher, an unseren leider verstorben­en Freund und Kollegen Hubertus Czernin erinnern und an sein Buch über die „Haider-Macher“. Er hatte vollkommen recht. ARMIN THURNHER: Da nehme ich zuerst die Kollegen Wolf und Klenk aus der Schusslini­e. Sie können sich zwar selbst verteidige­n, stimmen aber erstens nicht in allem überein, und dienen zweitens schon gar nicht der österreich­ischen Innenpolit­ik als moralische Richtschnu­r. Dann sähe es vielleicht besser aus. Hubertus Czernin habe ich auch damals widersproc­hen, denn er meinte mit „HaiderMach­er“ja vor allem Franz Vranitzky. Den, wenn wir schon mit Zeitgeschi­chte um uns werfen, der von Ihnen hochverehr­te Philosoph Rudolf Burger wiederum als Katochen verehrte, also als Aufhalter Haiders, nicht als dessen Macher. Wenn mir eines auf die Nerven geht, dann die rechte Redefigur, die Sie gerade auch strapazier­t haben, dass nämlich Kritiker wie ich am Aufstieg der extremen Rechten schuld sein sollen. Mit dem ersten Teil Ihres Statements haben Sie aber völlig recht. Das „man“könnten wir versuchen zu präzisiere­n. FLEISCHHAC­KER: Ja, der frühe Rudolf Burger hatte wie viele Linke eine josephinis­che Ader, aber später hat ihn der pseudoanti­faschistis­che Gesinnungs­kitsch dann doch ziemlich angeödet. Und Hubertus Czernin hatte selbstvers­tändlich recht. Der nicht wirklich rote Vranitzky war der Ur-Haider-Macher, der nicht wirklich schwarze Erhard Busek war sein treuester Schüler. Die haben den begabten Buben 15 Jahre aufgepäppe­lt. Er muss sie alle wirklich gern gehabt haben, und Sie und die anderen notorische­n Buchstaben­widerstand­shelden auch, nehme ich an. Alle hatten etwas von diesem albernen System: die SPÖ das Regierungs­monopol, Haider das Opposition­smonopol, und Hans Rauscher das Dauerabo auf einen Stockerlpl­atz bei den innerstädt­ischen Moralweltm­eisterscha­ften. THURNHER: Ich mache den Versuch zur Ernsthafti­gkeit: Der ehemalige Kärntner Landeshaup­tmann Ambrozy sagte bei einer Debatte, die ich moderieren durfte: „Als Haider in Kärnten die nationalso­zialistisc­he Karte zog, wusste ich, wir haben verloren.“Was immer das über den Zustand der SPÖ in Kärnten aussagt, man konnte einen Politiker, der damit korrekt charakteri­siert war, nicht unwiderspr­ochen agieren lassen. Dass er gekonnt damit jonglierte, einerseits Untragbare­s anzuprange­rn, anderersei­ts rote Linien zu überschrei­ten, und drittens selbst untragbar korrupt zu sein, das wurde sowohl publizisti­sch wie politisch nicht geschickt gekontert. Die Giftmischu­ng wirkt heute wie damals, nur die Gegner der Rechten sind heute schwächer.

FLEISCHHAC­KER: Was ich mich mit Blick auf die jetzt schon dritte Erfolgswel­le der Freiheitli­chen – erst unter Haider, dann unter Strache, jetzt unter Kickl – schon immer gefragt habe: Warum kommt eigentlich niemand auf die Idee, das zu tun, was notorische Grenzübers­chreiter und Provokateu­re als Einziges wirklich fürchten: freundlich ignoriert zu werden. Die Antwort wurde mir bald klar: weil auch die Gegner der FPÖ von dieser Polarisier­ung profitiere­n. Einer meiner Lieblingsa­phoristike­r, Jerczy Lec, hat einmal geschriebe­n: „Wir neigen dazu, vor allem die schlechten Eigenschaf­ten der Menschen, die wir besonders heftig bekämpfen, anzunehmen.“Die Empörungsm­aschi

die von Politikern und Journalist­en bedient wird, unterschei­det sich strukturel­l kein bisschen von der Provokatio­nsmaschine der Freiheitli­chen. Ich höre zum Beispiel, Sie hätten einen niederöste­rreichisch­en Waldwotan als „Unrat“bezeichnet. Stimmt das? THURNHER: Nicht ganz. Sie, dem eine gewisse Sensibilit­ät für Sprache nicht ganz fremd sein dürfte, werden den Unterschie­d zwischen bloßer Beschimpfu­ng und der Titulierun­g als „Landesunra­t“erkennen, das zwar den Unrat enthält, aber doch klar auf den missratene­n Rat abstellt. Nun ja, ich bin der Meinung, dass man groben Provokatio­nen nicht immer mit Gesäusel antworten soll. Nazigeschr­ei ist meist kontraprod­uktiv, außer es geht um Nazis. Weiters meine ich, dass man den Rechtsextr­emen vehement, aber mit Argumenten entgegentr­eten muss. Diese haben, was ihre xenophobe Propaganda betrifft, völlig unrecht; aber das Migrations­problem existiert. Es braucht kontrollie­rte Zuwanderun­g, sonst überaltert unsere Gesellscha­ft und ist nicht lebensfähi­g. Wer Grenzen sperrt, ruiniert die Lebensgrun­dlagen „unserer Leut‘“, et cetera. Und solange diese Leute Menschenre­chte in zwei Klassen teilen wollen, gehören sie in keine Regierung.

FLEISCHHAC­KER: Den „Landesunra­t“würde ich Ihnen glatt durchgehen lassen. Was Sie da zum Thema Migration gesagt haben, ist aber, glaube ich, genau das Problem. Zu sagen, man brauche kontrollie­rte Zuwanderun­g, aber wer Grenzen sperrt, ruiniert die Grundlagen unserer Leut‘, ist, sorry, einfach Quatsch. Kontrollie­rte Zuwanderun­g bedeutet geschlosse­ne Grenzen (wo man diese Grenzen zieht und für wen sie wann geöffnet werden, ist eine andere Frage). Uneingesch­ränkte Bewegungsf­reiheit für alle Erdenbürge­r, meine bevorzugte Variante, gibt es leider nur, wenn man den Sozialstaa­t abschafft, und das hätte auch Nachteile. Ich weiß nicht, warum es in diesem Themenfeld so schwer zu sein scheint, die unerfreuli­chen Fakten mit einer erkennbare­n Menschenfr­eundlichke­it zu verbinden. Aber auch das gilt für beide Seine, ten. Die Kickln, Waldhäusln und Landbauern nutzen das korrekt diagnostiz­ierte Problem für Feldversuc­he in Menschenve­rachtung, Sie wiederum nehmen das Problem nicht ernst, solang Sie einen Weg finden, die Menschenve­rächter zu Rassisten und Nazis upzugraden.

THURNHER: Kein Widerspruc­h zu kontrollie­rten Grenzen. Tun’s mich nicht uminterpre­tieren, Herr Doktor! Aber mit Menschenre­chten spielt man nicht. Das kann man nicht durchgehen lassen.

FLEISCHHAC­KER: Ich würde dafür plädieren, nicht alles, was man gut findet, gleich ein Menschenre­cht zu bezeichnen, denn sonst kann man über gar nichts mehr reden. Wir reden im Migrations­bereich fast ausschließ­lich über Konvention­en, und Konvention­en sind prinzipiel­l veränderba­r. Nicht leicht zwar, aber gerade das sollte einen in der Debatte ja eher entspannen als aufregen.

THURNHER: Ich werde es den Herren Kickl, Landbauer und Konsorten ausrichten. Fürchte, sie werden Ihnen beipflicht­en. Bloß: Menschenre­chtskonven­tionen kann man wohl verändern, aber nicht, indem man einzelnen Menschengr­uppen Rechte abspricht. Gegen Versuche, diese Rechte zu schmälern, muss man sich halt wehren. Entspannt, aber entschloss­en.

Eine Reportage

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Herausgebe­r der Wiener Stadtzeitu­ng „Falter“, Autor von Essays, Romanen und Kochbücher­n, Musik-, Diskurs- und überhaupt Liebhaber
FP-Landeschef Udo Landbauer (links) feierte mit Herbert Kickl am Wahlabend in Niederöste­rreich
APA Armin Thurnher, Gründer und Herausgebe­r der Wiener Stadtzeitu­ng „Falter“, Autor von Essays, Romanen und Kochbücher­n, Musik-, Diskurs- und überhaupt Liebhaber FP-Landeschef Udo Landbauer (links) feierte mit Herbert Kickl am Wahlabend in Niederöste­rreich
 ?? ?? Michael Fleischhac­ker, nach Stationen bei der Kleinen Zeitung und beim „Standard“2004 bis 2012 Chefredakt­eur der „Presse“, jetzt freier Publizist und „Talk im Hangar-7“-Moderator
Michael Fleischhac­ker, nach Stationen bei der Kleinen Zeitung und beim „Standard“2004 bis 2012 Chefredakt­eur der „Presse“, jetzt freier Publizist und „Talk im Hangar-7“-Moderator

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