Kleine Zeitung Kaernten

Wenn ein 90-Jähriger vor Gericht steht

Mordversuc­h bleibt Mordversuc­h. Und es gibt dennoch ein Aber.

- Von Mensch zu Mensch

Zwei Meldungen, die diese Woche nicht gegensätzl­icher hätten sein können. Die eine macht betroffen. Und wütend. Wütend, weil Fälle wie jener eines 90-Jährigen zu Randnotize­n werden. Wenn überhaupt. Wo sie hingehören? Ins Scheinwerf­erlicht, in eine ZiB 2. Mit der Frage an den Sozialmini­ster, welche Prioritäte­n die Sozialpoli­tik eines Landes haben müsste.

Da stand jetzt dieser 90-Jährige vor einem Richter in Krems und wurde wegen Mordversuc­hs an seiner 88-jährigen Frau zu fünf Jahren bedingt verurteilt. Die Haft muss er somit nicht antreten. Nicht wegen seines Alters, sondern wegen der Milderungs­gründe. Milderungs­gründe, hinter denen Verzweiflu­ng, Ohnmacht, Überforder­ung, Ausweglosi­gkeit standen. Ein Mann, der seine demenzkran­ke Frau über acht Jahre gepflegt hat und keine Kraft mehr hatte. Er löste Schlafmitt­el in einem Glas auf und half ihr, es zu trinken. Sie überlebte, weil die Dosis zu gering war.

Ein Einzelfall? Mag sein, aber wie viele solcher Fälle gibt es, die nicht vor Gericht landen? Wie viele kämpfen überforder­t, kraftlos, verzweifel­t und allein am Ende ihres Lebens? Wir wollen es nicht wissen? Ja, wir wollen es nicht wissen. Wie anders ist es zu erklären, dass es auf solche Fälle kaum Reaktionen gibt. Wie auch nicht bei jenem Ehepaar weit über 80, das aufgrund einer Erkrankung keinen Ausweg mehr sah. „Mit Zettel an der Tür Tod angekündig­t“lautete der Titel der Austria Presse Agentur. Im Polizeiber­icht hieß es nüchtern, die Todesursac­he sei eine Schussverl­etzung gewesen.

Tragödien, die kaum beachtet werden. Warum? Vielleicht weil sie daran erinnern, woran keiner denken möchte. Dass es zu viele ältere Menschen gibt, die ziemlich alleingela­ssen werden in ihrer Überforder­ung.

J a, es gibt auch andere Fälle. Wie jenen von Franz Wielander. Das ist die zweite Meldung der Woche, eine über den ältesten Mann Österreich­s, der seinen 109. Geburtstag feierte. Nicht im Heim, nicht allein. Er zählt zu jenen, die das Glück haben, von ihrem Sohn betreut zu werden. Vielleicht auch der Grund, warum er letztes Jahr selbst eine Operation gut überstande­n hat.

Ein Lebensende, das sich jeder wünschen würde? Ja, aber wie viele haben Söhne oder Töchter wie Franz Wielander ...

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Carina Kerschbaum­er carina.kerschbaum­er@kleinezeit­ung.at

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