Guter Wille allein reicht nicht
Die Ukraine drängt auf einen raschen EU-Beitritt, doch die nötigen Voraussetzungen sind noch lange nicht erfüllt. Zu einer schrittweisen Annäherung kommt es trotzdem.
Diesmal gehörte die Show wieder Ursula von der Leyen. Im ständigen Wettlauf mit Ratspräsident Charles Michel um die beste Position in der Weltöffentlichkeit hatte die Kommissionspräsidentin nicht nur bereits am Tag vor dem Ukraine-Gipfel wichtige Vereinbarungen vorweggenommen, sie war auch demonstrativ mit einer ganzen Heerschar an Kollegiumsmitgliedern ins Kriegsgebiet gereist. „Die Macht der Bilder“schrieben wir gestern und das war wohl ein zentrales Element des Gipfels – eine leuchtende Demonstration der Einigkeit und gemeinsamen Stärke, ein Manifest der Furchtlosigkeit. Prompt gab es Luftalarm, als die Besprechungen gerade beginnen sollten. Darüber hinaus ging es aber auch um Handfesteres; um Hilfe für die Ukraine auf allen Ebenen. Und um den angestrebten EU-Beitritt.
Das Land befindet sich im Krieg, die ukrainische Führung fackelt nicht lange, wenn es um markante Aussagen geht. Die Beitrittsverhandlungen könnten noch heuer beginnen, ein EUBeitritt sei in zwei Jahren möglich, hieß es Anfang der Woche.
Das wird nicht klappen. Zunächst einmal muss die Kommission den Grad der Beitrittsreife bewerten. Dazu soll es mehrere Etappen geben, eine noch im April, eine im Herbst. Der offensive Druck, mit dem in der Ukraine allein in den letzten Tagen in Korruptionsfällen aufgeräumt wird, ist ein Signal an Europa, auf dem richtigen Weg zu sein. Allerdings reichen Signale allein noch nicht aus, um für einen Beitritt bereit zu sein. Allein schon der Umstand, dass das Kriegsende noch bei Weitem nicht in Sicht ist und somit nicht einmal feststeht, über welches Territorium die Ukraine souverän verfügen kann, rückt einen tatsächlichen Beitritt in weite Ferne. Nach wie vor ist auch der Status der Länder des Westbalkans, die schon seit Jahren in Warteschleifen verharren, damit verknüpft.
Allerdings hat der Gipfel gezeigt, dass die Annäherung zwischen den EU-Ländern und der Ukraine unablässig voranschreitet. Das Land wird zu einem immer stärker assoziierten Drittland. Das betrifft unter anderem erleichterte Ein- und Ausfuhr von Industriegütern, die Verlängerung der Zollfreiheit für Exporte um ein weiteres Jahr, die Verlinkung des Bankensystems, die Verschränkung der Energieversorgung, die Nutzung von Bildungsprogrammen, das Roamingabkommen und vieles mehr. Das Land wird, obwohl es sich im Abwehrkampf gegen die Russen befindet, Schritt für Schritt an EUStandards angepasst. as Land sei bereit, es herrsche große Einigkeit darüber, dass der Weg in die EU der richtige sei, sagt dazu Ministerpräsident Denys Schmyhal. Alle nötigen Entscheidungen seien deshalb rasch möglich.
Das mag genauso sein. Den Zeithorizont für einen möglichen Beitritt aber so einzuengen, dass selbst die eigens angereisten EU-Spitzen um diplomatisch verträgliche Relativierungen ringen müssen, erweist dem eigenen Volk einen Bärendienst.
D