Pionierin mit politischer Stimme
Die Dirigentin Oksana Lyniv kritisiert die Wiener Festwochen.
Die Wiener Festwochen haben sich angewöhnt, ihr Programm scheibchenweise zu veröffentlichen. Die Taktik wurde zum Bumerang. Vor einigen Tagen kündigte man zwei Requiem-Konzerte an. Der griechischrussische Dirigent Teodor Currentzis soll am 12. Juni im Burgtheater Benjamin Brittens „War Requiem“von 1962 dirigieren, die ukrainische Dirigentin Oksana Lyniv am 2.
Juni im Konzerthaus das Kaddish-Requiem „Babyn Jar“von Jevhen Stankovych, das 2016 in Kiew uraufgeführt wurde.
Das Problem: Lyniv sieht durch die gemeinsame Publikation eine Kontextualisierung der zwei Projekte und hat deshalb ihre Teilnahme infrage gestellt. Lyniv ist Ukrainerin, die erhebliche Bedenken gegen Teodor Currentzis und seine Verbindungen in Russland hegt. Sie könne es vor den 150 Musikerinnen und Musikern, die aus der Ukraine zum Konzert anreisen, nicht verantworten, mit Currentzis in einen Kontext gestellt zu werden. Sie befürchte, so zu einer ungewollten
Komplizin eines „Whitewashing“zu werden. Eine ziemliche Ohrfeige für Festwochen-Intendant Milo Rau, der zurückrudert und zugibt, dass zumindest die Kommunikation schiefgelaufen sei. Man habe den falschen Eindruck erweckt, dass die beiden Konzerte in einem direkten Zusammenhang stünden.
Die Causa demonstriert, wie anhaltend sensibel und fragil der internationale Kunstbetrieb seit dem Überfall Russlands auf die Ukraine aufgestellt ist. Und Lyniv ist nicht darum verlegen, ihren Unmut zu äußern. Die Dirigentin gilt als Pionierin in ihrem Fach. Die 46-Jährige war von 2017 bis 2020 Chefdirigentin am Grazer Opernhaus, Sprungbrett für eine schnelle, große Karriere. Sie dirigiert an der Metropolitan in New York, sie war 2021 die erste Dirigentin bei den Bayreuther Festspielen, und 2022 wurde Lyniv durch ihr Engagement ans Teatro Comunale di Bologna zur ersten Frau, die ein italienisches Opernhaus leitet.