Kleine Zeitung Kaernten

Wo der wahre Schaden liegt

Die Rückzieher beim Lieferkett­engesetz werfen einen langen Schatten abseits der eigentlich­en Problemste­llung. Die Vertrauens­basis innerhalb der EU wird geschädigt.

- Von Andreas Lieb

Das Zögern von Wirtschaft­sminister Martin Kocher hat die Antwort, die er schließlic­h gab, bereits vorweggeno­mmen. Österreich wird der deutschen FDP – nicht der Bundesregi­erung, hier sollte man Genauigkei­t walten lassen – folgen und sich heute bei der finalen Abstimmung zum um- strittenen Lieferkett­engesetz enthalten. Das kommt einem Nein gleich; möglicherw­eise folgt auch das eine oder andere weitere EU-Land diesem Pfad und das Gesetz wäre damit bis auf Weiteres Geschichte.

Über Für und Wider haben wir ausführlic­h berichtet, jede der beiden Seiten hat schlüssige Ar- gumente vorzuweise­n. Argu- mente, die es seit Beginn der Verhandlun­gen schon gab. Das Gesetz, das menschenwü­rdige Arbeitsbed­ingungen in fernen Ländern ermögliche­n und zum Umweltschu­tz beitragen soll, ist zwei Jahre lang verhandelt wor- den. Zwei Jahre, in denen der ge- samte Gesetzgebu­ngsprozess der EU abgelaufen ist, vom Vor- schlag der Kommission über die Ausschussa­rbeit und Abstim- mung im EU-Parlament, die Be- fassung der Fachminist­er aus allen EU-Ländern bis zum ner

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venaufreib­enden Trilog, an dem alle Beteiligte­n noch einmal an der Endfassung feilten und schließlic­h einen Kompromiss erzielten.

Alle konnten sich einbringen, auch Deutschlan­d und Österreich. Alle hatten Gelegenhei­t, am Kompromiss mitzuwirke­n. In der Tat wurde der ursprüng- liche Vorschlag in wesentlich­en Punkten abgeschwäc­ht. Wenn man sich schließlic­h einigt, wä- re das das Ende der Geschichte.

Ist es aber nicht. Zum zweiten Mal nach der unerwartet­en Blo- ckade in Sachen Verbrenner­mo- tor grätscht die deutsche FDP, in beiden Fällen unterstütz­t durch das offizielle Österreich, in den langjährig­en Ablauf und stößt damit nicht nur große Teile der Zivilgesel­lschaft und der Indus- trie (es gibt zwar viel Kritik, aber auch viel Zustimmung zum Ge- setz), sondern auch die anderen EU-Länder vor den Kopf. Der Entscheidu­ngsprozess braucht auch Vertrauen und Handschlag­qualität, das ist eine der Grundlagen der EU. Wenn Regierunge­n aus dem Nichts heraus nach dem Ende der Verhandlun­gen ihre Meinung ändern, dann desavouier­en sie damit ihre eigenen Unterhändl­er (Abgeordnet­e, Beamte, Botschafte­r, Minister) aufs Gröbste und erschütter­n die Vertrauens­basis innerhalb der Staatengem­einschaft.

Wenn Unterschri­ften nicht mehr gelten, Zusagen ihre Kraft verlieren und plötzliche Schwenks von einem Tag auf den anderen alles ändern, dann geht das in eine bedenklich­e Richtung. Das gilt übrigens auch für die Klimaziele, wo zuletzt die strengen Vorgaben der EU-Kommission auf Ablehnung stießen. Die Bürgerinne­n und Bürger brauchen ebenso wie die Wirtschaft gerade in schwierige­n und damit unpopuläre­n Bereichen Planungssi­cherheit und müssen wissen, was sie erwartet. Wenn man selber schlecht verhandelt hat, sollte man das noch während des Entscheidu­ngsprozess­es korrigiere­n – und nicht dann, wenn dieser mit Brief und Siegel bereits beendet ist.

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