Kult des Gnadenlosen
Der Fall Föderl-Schmid wirft ein Schlaglicht auf die Abgründe und das Zersetzende digitaler Öffentlichkeit. Die Gesellschaft muss sich vor sich selbst schützen.
Erst hagelte es Häme und Niedertracht, dann regnete es Blumen. Ein in seiner Würde und Integrität schwer getroffener Mensch rettete sich mit einem Rest an Daseinskraft zurück ins Leben. Jeder, der über ein halbwegs unversehrtes Koordinatensystem verfügt, wird über die Wende im Fall der Journalistin Alexandra Föderl-Schmid Freude und Er- leichterung empfinden, unab- hängig davon, ob hier jemand „eine von uns“ist und erst recht losgelöst von ideologischen Verwandtschaften. Das alles ist nicht mehr selbstverständlich.
Das führt zum Kern. Das Ge- schehene wirft ein Schlaglicht auf das Öffentliche, und wie es durch die Wirkmächte des Digi- talen vergiftet und zum ideolo- gischen Kriegsschauplatz defor- miert wurde. Beide Gründungs- mythen sind demaskiert: das frei Zugängliche, Schwellenlose, das zur Teilhabe der Stimmenlo- sen führen werde; und: das Ano- nyme, das den Einzelnen vor Re- pression schütze.
Die Anonymität hat nicht das freie Wort befördert, sondern das Schamlose. Man ist leichter mies unter der Kapuze und nicht leichter mutig. Und dass jeder
hubert.patterer@kleinezeitung.at
allen alles sagen kann, hat eher dem Unsäglichen Flügel verlie- hen und nicht der Demokratisie- rung des öffentlichen Spre- chens. m einen freien Diskurs- raum ist es in den sozia- len Netzwerken nie ge- gangen. Hier geht es nicht um Verständigung, hier geht es um Zugehörigkeit. Man spricht zu keinem Gegenüber, man brand- markt es. Man lädt zum Femege- richt, das keine Zivilisierung durch Verteidigung und Ankla- ge kennt, sondern nur die Judi- katur des Gnadenlosen. Der klu- ge Leiter des AMS wünscht sich, alle mögen sich so äußern, als säße der andere gegenüber. Das ist schön, schön geträumt. Das Netz ist eine tribalistische Arena, moderne Stammeskriege werden hier ausgetragen. Die Zahl der Follower, der Gefolg- schaft, sind Truppenzählungen und männliche Eitelkeitsaus- weise.
UDie Gerettete geriet zwischen die Fronten. Ihr ungenügendes Ausweisen fremder Quellen war der rechten Plattform „Nius“ein triumphaler Anlass für einen monströsen Gegenschlag nach den Affären Aiwanger und Wedel, in denen die „Süddeutsche“, nicht immer souverän, Feder geführt hatte. Um die Person selbst ging es den Kriegern nicht. Sie nahmen den Rufmord in Kauf. Föderl-Schmid hatte als Publizistin eines linksliberalen Mediums einfach die falsche Zugehörigkeit, so wie ein Christian Pilnacek mit seinen Fehlern und Verstößen die falsche Zugehörigkeit hatte. Sie wurden in ihrer Würde demoliert, noch ehe zuständige Instanzen die Vorwürfe klären konnten. Pilnacek wurde erst ein Guter, ein guter Toter, als er posthum Munition gegen die ÖVP lieferte. Da wurde die abgeschnittene Ehre rücküberwiesen. as tun? Einen Schritt zurück. Sich verweigern. Vom Gnadenlosen runter. Dem Anonymen einen Riegel vorschieben. Dem Verdachtsjournalismus widerstehen. Die Krieger nicht auch noch alimentieren. Die Jungen schützen. Und uns alle.
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