Sie sind gekommen, um zu bleiben
Sie räumen ab und sie räumen ordentlich auf: Warum Frauen derzeit in der Musikindustrie die Hosen anhaben.
Schönwetterreden? Nicht mit ihr. Vier Grammys räumte Musikerin Phoebe Bridgers am letzten Sonntag bei den Grammys ab. Und im Presseraum redete sie dann Klartext: Neil Portnow, ehemaliger Grammy-Chef, möge doch bitte, wenn er stirbt, „verrotten“. Die Aussage ist jetzt übrigens recht entschärft. Portnow wird verdächtigt, eine Musikerin unter Drogen gesetzt und vergewaltigt zu haben. 2018 wurde er überdies einer breiten Öffentlichkeit bekannt, als er meinte, dass sich Musikerinnen einfach mehr „anstrengen“sollten, um Anerkennung zu bekommen. „It’s a Man’s World“, könnte man sagen, aber Bridgers und ihre beiden Mitstreiterinnen Julien Baker und Lucy Dacus wissen eines ganz genau: Das Momentum ist auf ihrer Seite. Dass ihre Band Boygenius heißt, kommt nicht von ungefähr: Es ist ein einziges Amüsieren darüber, dass sich Musiker gerne im Vorbeigehen die Geniekrone krallen, als wären es Gratiszuckerln in einer Hotellobby. Doch der Wind, er dreht sich: Dass Frauen die diesjährige Grammy-Verleihung dominiert haben, war kein Zufall und ist kein Zeitgeist, sondern ein Paradigmenwechsel. Althergebrachte Mechanismen in der Musikindustrie werden vor allem durch Social Media massiv unter Druck gesetzt: Instagram,
YouTube oder TikTok sind längst zu virtuellen Bühnen avanciert, die Erfolge an den Gatekeepern vorbei ermöglichen. Waren es früher Plattenfirmen, die Talente entdeckt haben, so ist es oft längst umgekehrt: Musikerinnen und Musiker, deren Powerplay-Zahlen gerade durch die Decke gehen, werden von Plattenfirmen auf YouTube entdeckt.
Schlag nach bei Olivia Rodrigo, heuer ebenfalls für einen Grammy nominiert. Die viralen Raketenstufen ihrer Single „Drivers License“waren TikTok, dann Spotify, dann die Charts. Das nennt man Starwerdung über Nacht. Das alles erweitert den über viele Jahrzehnte üblichen engen Handlungsspielraum enorm – inklusive Eigenpromo: 280 Millionen Follower hat Taylor Swift allein auf Instagram. Auf die Werbung einer Plattenfirma ist sie längst nicht mehr angewiesen. Einer ihrer größten
Coups war es, sich gegen den Musikmanager Scooter Braun zur Wehr zu setzten, der die Rechte an ihren früheren Alben gekauft und weiterverkauft hatte. Swift hat ihre Alben einfach neu aufgenommen.
Wie tiefgreifend der Wandel in der Musikindustrie ist, zeigte sich erst unlängst: Der CondéNast-Verlag hat die Musikkritikplattform Pitchfork mehr oder weniger zerschlagen. Ist die Musikkritik, die immer auch eine Männerdomäne war, am Ende? Zumindest schwindet ihr Einfluss rasant. Und auch die digitale Macht von Fancommunitys ist enorm. Jene von Taylor
Swift haben unlängst konzertiert gegen Hacker, die mit gefakten Pornobildern ihres Idols das Netz geflutet haben, mobil gemacht.
SZA (li) und Miley Cyrus