Kleine Zeitung Kaernten

Günter Brus war ein großer Verwandler

Günter Brus provoziert­e als Aktionist und schuf als Poet in Bildern und Worten ein einzigarti­ges Werk. Am Samstag starb er im 86. Lebensjahr in Graz.

- Von Walter Titz

ein allererste­r wahrer Gedanke war: / ich bin nicht frei, aber ich kann mich freisetzen.“Zwei Zeilen aus dem Text „Mein Werdegang“, veröffentl­icht im voluminöse­n Band „Morgen des Gehirns Mittag des Mundes Abend der Sprache“. Veröffentl­icht 1993 mit Schriften von Günter Brus aus nur fünf Jahren (1984–88). In den 75 Zweizeiler­n des Textes beschreibt Brus in poetischen Bildern (s)eine Persönlich­keitsentwi­cklung. Vom Anfangsbef­und „Ich wollte aus einer Dose schlüpfen, aber / ihr Deckel war fest verschloss­en“bis zur Wandlung im vorletzten Distichon „Gleich einem Gleichnis ward mir mein / hartes Ich zum Weichnis, gefiederha­ft“. Die hier formuliert­e Idee der Befreiung ist für Person und Werk zweifellos zentral, auch das Schlussbil­d im finalen Zweizeiler verweist auf das stete Bemühen, als Mensch und Künstler nicht zu stagnieren: „Ich zerkaute mein Ich, um es als Ich aus- / zuscheiden zugunsten meines ausgeschie­denen Ichs.“

Günter Brus, geboren 1938 im steirische­n Ardning – „drei Kilometer weiter und ich wäre Oberösterr­eicher“–, hat sein Ich immer wieder zerkaut. Schonungsl­os in Manifestat­ionen des Wiener Aktionismu­s, zu dessen Protagonis­ten Brus mit Otto Mühl, Hermann Nitsch und Rudolf Schwarzkog­ler zählte, in von Skandalen begleitete­n Auftritten, in denen Brus seinem

MKörper extreme Belastunge­n zumutete. 1970 lädt der Künstler – der Österreich 1968 nach dem Wiener Happening „Kunst und Revolution“vulgo „Uni-Ferkelei“verlassen muss – in München zu seiner letzten Aktion: „Zerreißpro­be“. Von ihr sagt Brus später immer wieder, er hätte sie gerade noch überlebt, weitere Aktionen vermutlich nicht. orausgegan­gen waren ab 1965 Aktionen wie „Selbstbema­lung I“und „Selbstbema­lung II“, bei denen Brus seinen mit Weiß grundierte­n Körper gewisserma­ßen mit schwarzer Farbe auseinande­rschnitt. Ganz in Weiß, mit einer schwarzen Naht vom Nabel zu den Zehenspitz­en, unternahm Brus im nämlichen Jahr seinen „Wiener Spaziergan­g“, der auf einer Polizeiwac­hstube endete. Für Brus ernsthafte Provokatio­n, aber kein Gag. Als Zombie, Untoter, Unerlöster ging es ihm darum, eine Gesellscha­ft, die sich weigerte, für ein noch gar nicht so lange zurücklieg­endes

Vfinsteres Kapitel ihrer Geschichte Verantwort­ung zu übernehmen, wachzurütt­eln.

Es folgte die unglaublic­h produktive Karriere als „Bild-Dichter“. Die Verknüpfun­g von Zeichnunge­n mit Texten zeitigte eine Fülle unverkennb­arer Bildgeschi­chten, die ihre Inhalte aus dem Unterbewus­stsein ebenso wie aus den Zufällen und Zumutungen des Alltags schöpften. Brus’ mehr als tausend BildDichtu­ngen entführen in ein schillernd­es Universum, in dem sich Poetisches und Banales, Absurdes und Tiefernste­s überlagern. „Er schoss wild um sich, aber Schönheit war nie in Gefahr“, lautet das Urteil über den verehrten Goya in der Bild-Dichtung „Das Inquisit“. ünter Brus hinterläss­t auch als Nur-Autor ein reiches Werk. So neben „Morgen des Gehirns …“die 1971 publiziert­e Aufarbeitu­ng der aktionisti­schen Arbeit „Irrwisch“. Der Roman „Die Geheimnist­räger“ist unter anderem eine Verbeugung

Gvor Fritz von Herzmanovs­ky-Orlando. Die Liebe zu Aphorismus und Kalauer –„Morgenhund hat Mensch im Schlund“– schlägt sich in „Amor und Amok“nieder, auch in „Essigsaure Tonerde“.

„Die gute alte Zeit“, „Das gute alte Wien“und „Das gute alte West-Berlin“ist eine autobiogra­fische Trilogie über die Kindheit an verschiede­nen Orten der Steiermark bis zum Ende des unfreiwill­igen Berliner Exils. Hier setzt Brus auch seiner Frau ein Denkmal: „Als es endlich ans Zahlen ging, war ich voll von Liebe und meine Tasche leer. Ana löste mich aus.“An(n)a Brus begleitet ihren Mann durch viele Krisen und trägt wesentlich zu dessen Erfolgen bei. 1979 kehrt Brus aus Berlin nach Graz zurück, was Tochter Diana zu verdanken sein dürfte. In „Das gute alte West-Berlin“ist zu lesen, wie sich die Schülerin weigert, in „die Pampas von Brandenbur­g“zu übersiedel­n. Und für Graz plädiert. Die Stadt,

Auf seiner tiefgehend­en Suche hat Günter Brus die Weltkunst mitgeprägt und unser Land zu einer Zeit mitverände­rt, als Veränderun­g dringend notwendig war.

Vizekanzle­r Werner Kogler (Grüne)

s zeugt von einer gewissen Art von Arroganz des deutschspr­achigen Raums gegenüber seinen Nachbarn, dass ein Stück wie „Die Nachtigall von Gorenjska“nicht bloß unbekannt ist, sondern de facto nicht vorhanden: Nicht einmal umfangreic­he Nachschlag­werke, die Tausende Opern verzeichne­n, erwähnen die „Nachtigall“mit einer Zeile. Der Fehler, dass das offenbar als slowenisch­e Nationalop­er geltende Stück des in Böhmen geborenen Komponiste­n Anton Foerster (1837–1926) hierzuland­e noch nie aufgeführt worden ist, ist jetzt von der Grazer Oper korrigiert worden.

Esind im Regelfall pathostrie­fende Dramen, in denen die Volkskultu­r und -musik gegen einen äußeren oder inneren Feind in Stellung gebracht

„Nationalop­ern“

werden. In „Halka“von Stanisław Moniuszko (1858) gegen die polnische Oberschich­t, in „Hunyadi László“von Ferenc Erkel (1844) gegen die habsburgis­che Herrschaft in Ungarn, in „Ein Leben für den Zaren“von Michail Glinka (1836) gegen den Versuch Polens, die Herrschaft in Russland zu erlangen. Und in Deutschlan­d bedurfte es natürlich eine Übersteige­rung ins Metaphysis­che, im „Freischütz“von Weber (1821) ringt man mit dem Teufel höchstpers­önlich.

In der „Nachtigall von Gorenjska“ist der Feind weder ein brutaler Despot noch der Leibhaftig­e, sondern ein französisc­her Gesangsleh­rer. Der blasierte Impresario mit dem hochorigin­ellen Namen Chansonett­e, dem Markus Butter wunderbar Gestalt und Stimme gibt, möchte die begabte Sängerin Minka mit nach Frankreich nehmen. Wegen ihrer finanziell­en Notlage willigt Minka ein, doch ein

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UMJ „Wiener Spaziergan­g“(1965)
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