Der Reiz des Fastens
Weniger ist mehr: Bewusster Verzicht kann die Sinne für den Genuss schärfen. Und global brauchen wir sowieso neue Ansätze.
ngesichts des Zustands der Welt muss man sagen: Der Fasching war schon einmal lustiger. Dieser Befund galt auch in den Vorjahren, was die Sache nicht besser macht. Insofern mag mancher das närrische Treiben als unpassend empfunden haben, sofern man es nicht als Ablenkung von den tristen Weltläufen ver- stand.
Die Frage, wie wir es mit der nun anbrechenden Fastenzeit halten, ist komplexer. Der frei- willige Verzicht auf Genuss ist ein schwer verdauliches Ansin- nen. Die bewusste Entbehrung war immer schon ein sperriges Gebot, dem wir uns nur wider- willig fügen. Mehr Anhänger fand zu allen Zeiten das Gegen- teil, nämlich der Ansporn zu Ma- ximierung und Optimierung des Daseins: Das Leben ist kurz, man soll die Feste feiern, wie sie fal- len.
Dennoch ist auch die Vorstellung von Askese eine kulturelle Konstante in der Menschheits- geschichte. Die Erfahrung lehrt, dass schrankenloser Genuss ziemlich leicht in Verdruss mün- det, während oft erst der Ver- zicht einen dann folgenden Kon- sum umso kostbarer macht.
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Ganz allgemein lässt sich höchs- tes Glück nicht in einen Dauer- zustand verwandeln. Das mag mancher als Geißel empfinden oder als Ausdruck des Um- stands, dass wir aus dem Para- dies vertrieben sind.
Doch vielleicht verhält es sich geradezu umgekehrt: Der ewige Reiz des sorgenfreien Wohllebens speist sich womöglich erst aus seiner Ambivalenz und Flüchtigkeit. Insofern bleibt es eine ewige Aufgabe, uns die gu- ten Zeiten stets neu zu erarbei- ten. Der bewusste, nicht aus der Not geborene Verzicht ist ein Jungbrunnen für unsere Glückssensoren.
In der Industriegesellschaft des materiell noch immer uner- messlich reichen Westens gilt die Ambivalenz womöglich dop- pelt. Obwohl Armut nicht ver- schwunden ist, haben wir es ei- nerseits geschafft, weiten Tei- len der Bevölkerung ein von existenziellen wirtschaftlichen
Risiken nahezu befreites Leben zu ermöglichen. Andererseits wissen wir, dass wir dieses Versprechen nicht global erfüllen können. Die Klimafalle und die begrenzten Ressourcen des Planeten geben das nicht her. Die Weltbevölkerung wächst. Die Spannungen werden weiter stark zunehmen, wenn wir uns nicht der unangenehmen Wahrheit stellen, dass in Sachen Umweltverbrauch ein Verteilungsund Gerechtigkeitsproblem repariert werden muss. ofern sich keine technische Wundertüte öffnet, kann die Lösung wohl nur darin bestehen, radikal andere Wege zu gehen als unser brutales System von Raubbau und Wegwerfkonsum. Gefragt sind nicht irgendwelche Armutsgelübde oder Rituale des schlechten Gewissens.
Aber es darf schon darüber nachgedacht werden, wie wir die Architektur aus Wachstum und Steigerung in dauerhaft verträgliche Kreisläufe überführen. Zeitweises Fasten, in welcher Ausprägung auch immer, kann uns dafür die Meilensteine liefern. Und wenn es nicht nützt, dann schadet es wenigstens nicht.
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