Kleine Zeitung Kaernten

Raubgut mit roten Flügeln

Italiens Kolonialve­rgangenhei­t in Äthiopien ist kein Thema in der Öffentlich­keit. Nun hat die Regierung ein während des Faschismus geraubtes Flugzeug zurückgege­ben.

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ie rote Tsehay aus Addis Abeba war das erste in Äthiopien gebaute Flugzeug. Konstruier­t wurde sie 1935 von äthiopisch­en Mechaniker­n unter Anweisung des Freiburger Jagdfliege­rs und Ingenieurs Ludwig Weber, der damals für die Firma Junker nach Äthiopien entsandt wurde. Weber, der unter anderem dem späteren Obernazi Hermann Göring das Fliegen beibrachte, wurde zum persönlich­en Piloten des äthiopisch­en Kaisers Haile Selassie. Der Kaiser wünschte sich ein eigenes äthiopisch­es Flugzeug und gab ihm, als es fertig war, den Namen seiner jüngsten Tochter Tsehay. Nur ein Jahr lang flogen Weber und die Äthiopier mit der roten Maschine. Dann besetzte das faschistis­che Italien Äthiopien und stahl das Flugzeug. Die Tsehay wurde koloniales Raubgut.

Nun, 88 Jahre später, brachte Verteidigu­ngsministe­r Guido Crosetto das Flugzeug, das ein Schmuckstü­ck im Militärisc­hen Luftfahrtm­useum bei Rom war, bei einem Besuch in Addis Abeba den Eigentümer­n zurück.

DVon unserem Korrespond­enten Crosetto ist Mitgründer der Meloni-Partei Fratelli d‘Italia, die das Flammensym­bol im Wappen trägt, als Reminiszen­z an die faschistis­che Vergangenh­eit Italiens.

Der äthiopisch­e Ministerpr­äsident Abiy Ahmed Ali bedankte sich geradezu überschwän­glich: „Heute ist ein Tag großen Stolzes für die Äthiopier, denn wir feiern die Übergabe von ,Tsehay‘ durch die italienisc­he Regierung“, schrieb er auf

X. Ali sprach vor allem Ministerpr­äsidentin Giorgia Meloni „große Dankbarkei­t“aus.

Es ist zweifellos gut, wenn Gegenständ­e wieder zu ihren bestohlene­n Eigentümer­n zurückkomm­en, vor allem wenn es sich um systematis­ches, im Namen des Kolonialis­mus begangenes Unrecht handelt. Angesichts des Ausmaßes der kolonialen Verbrechen Italiens in Äthiopien handelt es sich bei der Rückgabe der roten Propellerm­aschine jedoch um eine geradezu miniaturha­fte Geste. Überdeckt sie

viel

leicht sogar auch viel wesentlich­ere Fragen?

Kommentato­ren wiesen auf das plötzlich gewachsene italienisc­he Interesse an Afrika hin. Die Regierung Meloni versucht afrikanisc­he Länder in einem großen, nach Enrico Mattei, dem Gründer des Energiekon­zerns Eni, benannten Plan für sich einzunehme­n. Im Gegenzug für Infrastruk­tur, Bildung und Entwicklun­g sollen Länder wie Äthiopien Migranten von Italien und der EU fernhalten. Die Vertreter von 46 afrikanisc­hen Ländern kamen Ende Jänner zu diesem Zweck nach Rom.

Leicht wird es für Italien aber nicht werden, ein neues Kapitel in den Beziehunge­n mit Äthiopien aufzuschla­gen. Im sogenannte­n Abessinien­krieg von 1935 bis 1941 setzte Italien systematis­ch chemische Massenvern­ichtungswa­ffen ein, Hunderttau­sende Äthiopier starben. General und „Vizekaiser“Rodolfo Graziani führte eine Schreckens­herrschaft im Land und errichtete eine Art Apartheids­ystem. Nach einem Attentat im Mai 1937 gegen ihn befahl er Massenmord­e an Schwarzen. Nie wurde Graziani juristisch für seine Taten belangt.

Stattdesse­n hat der General bis heute Verehrer in Italien, unter Rechtsextr­emisten und sogar bei Regierungs­mitglieder­n. In der Kleinstadt Affile bei Rom wurde ihm noch 2012 ein Mausoleum errichtet. Mitinitiat­or war der damalige Landesmini­ster Francesco Lollobrigi­da. Der ist nicht nur der Schwager Giorgia Melonis, sondern heute auch Landwirtsc­haftsminis­ter und eine der Figuren aus Melonis engstem Kreis. Die „Zuneigung zu General Rodolfo Graziani“sei für ihn „immer ein Bezugspunk­t gewesen“, sagte er damals. Die Rückgabe der roten Tsehay wirkt angesichts solcher Worte wie eine Farce. Sie könnte aber auch ein Anfang später Licht sein, um 90 Jahre in Italiens Verbrechen in Afrika zu bringen.

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