Kleine Zeitung Kaernten

„Nawalny war in Putins Weltbild ein klarer Gegenspiel­er“

Paul Krisai, Ex-ORF-Korrespond­ent in Moskau, über das lange Ende von Nawalny und potenziell­e „Nachfolger“.

- Thomas Golser

err Krisai, wie überrasche­nd kommt der Tod Nawalnys?

Die Nachricht von Nawalnys Tod, wenn sie sich bestätigt, muss wohl weniger überrasche­n als der frühe Zeitpunkt. Klar ist aber, dass die Haftbeding­ungen besonders für Nawalny kaum erträglich waren: Er war seit Monaten ausschließ­lich in Einzelhaft und hat die fehlende medizinisc­he Versorgung bemängelt. Auch seine Anwälte haben regelmäßig Alarm geschlagen. In den vergangene­n Monaten ist er stark abgemagert. Ich denke, es ist ein Trauerspie­l in vielen Akten, das sich von langer Hand angekündig­t hat.

Tödliche Schikanen also?

Die Strategie der russischen Behörden war ganz offensicht­lich, diesen Mann nicht nur psychisch zu brechen. Es ging auch darum, ihn physisch zu zerstören. Mit allen möglichen Aktionen, um ihm in der Haft das Leben schwer zu machen. Sicherlich auch durch die Verlegung in ein so entlegenes Straflager ganz im Norden Russlands, nördlich des Polarkreis­es, mit einer, wie man weiß, nicht gut beheizten Zelle.

Wie war die öffentlich­e Wahrnehmun­g von Nawalny?

In der russischen Bevölkerun­g war er eine umstritten­e Figur. Nawalny war der bekanntest­e Opposition­elle – das bedeutet aber nicht automatisc­h, dass er ein bekannter Politiker war: Er ist im Staats-TV nie aufgetrete­n und wurde von den Staatsmedi­en ignoriert – Anweisung von oben. Bis 2020 waren die großen Protestakt­ionen gegen Korruption und Machtmissb­rauch im russischen Regime, die er organisier­t hat, seine politische

HPAUL KRISAI.

Bühne. Aber er war sicher auch nicht gleichzeit­ig der Liebling von allen, die gegen Putin sind. Es besteht ein großes Misstrauen in der Bevölkerun­g gegenüber Opposition­ellen, weil diese vom Staat diffamiert, als vom Ausland bezahlt hingestell­t werden, ihre Legitimitä­t untergrabe­n wird.

Die Feindschaf­t war schon dadurch erkennbar, dass Putin Nawalnys Namen nie aussprach: Man würde das mit jemandem, der einem völlig egal ist, nicht machen. Nawalny ist offensicht­lich auch in Putins Weltbild ein klarer Gegenspiel­er gewesen. Das war nach jedem Straßenpro­test so, dann kamen der Giftanschl­ag unter mutmaßlich­er Beteiligun­g des Geheimdien­stes und die Verhaftung bei seiner freiwillig­en Rückkehr. Ob all das von Putin alles direkt angeordnet worden war, lässt sich nicht sagen. Er hat aber in Russland ein Klima geschaffen, in dem solche Angriffe meist straffrei bleiben.

Ist die Botschaft „Seht, was ist,

Einer der letzten öffentlich­en Gegner, der vom Gefängnis aus das Regime noch kritisiert­e, wurde völlig zum Schweigen gebracht. Wir können davon ausgehen, dass früher oder später zumindest pro forma behördlich­e Ermittlung­en laufen werden. Es wäre nicht der erste Fall eines Kremlgegne­rs, der unter ungeklärte­n Umständen stirbt – man denke an Boris Nemzow, der 2015 erschossen wurde. Unmenschli­che Haftbeding­ungen haben System – wenn Nawalnys Tod vielleicht auch nicht gezielt herbeigefü­hrt wurde, so wurde er zumindest in Kauf genommen.

Das hat 2021, als er sich zur Rückkehr nach Russland entschiede­n hat, bei vielen für Stirnrunze­ln gesorgt, selbst bei seinen Anhängern. Nawalny hat selbst immer gesagt, für ihn habe sich diese Frage gar nicht gestellt. Es dürfte ihm auch klar gewesen sein, dass er wesentlich weniger Glaubwürdi­gkeit für die Menschen in Russland hat, wenn er aus dem sicheren Ausland kommentier­t, kritisiert oder agitiert. Dazu kommt eine Prise Selbstaufo­pferung, er tat den Schritt aus politische­r Überzeugun­g.

Wir haben eine Situation, in der alle anderen ernstzuneh­menden Opposition­ellen sowieso schon im Gefängnis sitzen, etwa ein Ilja Jaschin oder ein Wladimir Kara-Mursa. Was wir sehen, ist ein Kahlschlag der noch verbleiben­den, ohnehin dezimierte­n Opposition.

Verhandlun­gstagen versuchte die Anklage ihren Vorwurf zu untermauer­n, wonach Kurz und Bonelli ihre Rolle bei der Bestellung der Staatshold­ing Öbag unter Wahrheitsp­flicht herunterge­spielt und damit falsch ausgesagt haben. Gestützt wurde das von Aussagen des ehemaligen Öbag-Chefs, Thomas Schmid, der bei seiner zwei Tage dauernden Zeugenbefr­agung das Bild zweier aktiv in den Prozess eingebunde­ner Angeklagte­r gezeichnet hatte.

Schmid sei unglaubwür­dig und verbreite Lügen, konterte deren Verteidigu­ng. Neben dem Hinweis darauf, dass keiner der anderen Zeugen von einer aktiven Einmischun­g der beiden zu berichten wusste, brachte man dort die eidesstatt­liche Erklärung zweier russischer Geschäftsm­änner vor, die von einem Bewerbungs­gespräch mit Schmid in Amsterdam berichtete­n. Dieser soll dabei von „Druck“der Staatsanwa­ltschaft berichtet haben, die er mit passenden Aussagen wolle.

Der Richter wollte das genauer wissen und lud die beiden Russen zur Videobefra­gung in die österreich­ische Botschaft in Moskau vor. Einer von ihnen erschien, zeigte sich unzufriede­n über seine langwierig­e Befragung und warf mit seinen Aussagen zu den Hintergrün­den seiner eidesstatt­lichen Erklärung zahlreiche Fragen auf. Der zweite Russe wurde in der Botschaft gar nicht vorstellig, er sei kurzfristi­g erkrankt. Richter Radasztics lud diesen ein weiteres Mal, ebenso wie Schmid, der zu Details seiner Unterredun­g in Amsterdam ein drittes Mal befragt werden soll. Die Bereitscha­ft der beiden dazu war Ende Jänner noch unklar.

Wie Gerichtssp­recherin Christina Salzborn auf Anfrage der Kleinen Zeitung mitteilte, steht nun fest: Beide Zeugen haben einer Befragung zugestimmt – der Russe in der Botschaft, Schmid wohl per Online-Videoschal­tung, da er im Ausland lebt und seine Identität nicht extra behördlich zufriedens­tellen festgestel­lt werden muss. Beides wird Zeit in Anspruch nehmen, vor allem die Staatsanwa­ltschaft dürfte an Details zum Bewerbungs­gespräch interessie­rt sein.

Radasztics offenbar an seinem Prozessfah­rplan festhalten und noch am selben Tag – im Anschluss an die Befragunge­n – ein Urteil verkünden. Dieses Vorhaben habe er bereits mit den jeweiligen Parteien abgesproch­en, heißt es aus dem Straflande­sgericht. Damit der Prozess dadurch nicht erst in den späten Abendstund­en endet, wurde die Verhandlun­g am Freitag eine Stunde vorverlegt und beginnt damit bereits um 8.30 Uhr.

Rechtskräf­tig wird das Urteil, so es denn wirklich kommt, dann freilich noch nicht sein. Verteidigu­ng wie Staatsanwa­ltschaft können dagegen entspreche­nde Rechtsmitt­el einlegen, endgültig abgeschlos­sen ist die Sache für die beiden Angeklagte­n am kommenden Freitag also nicht.

Herr Finkielkra­ut, überall in Europa gehen die Leute auf die Straße: Für das Klima und gegen rechts, gegen Israel und für eine Landwirtsc­haft, die den Bauern ihre Existenz sichert. Stehen wir am Beginn einer neuen Ära des Protests? ALAIN FINKIELKRA­UT:

In Frankreich haben Demonstrat­ionen eine lange, große Tradition. Offenbar passen sich die anderen Länder in Europa dem französisc­hen Modell an. Unsere Gesellscha­ften sind immer gereizter. Einerseits ruft die Masseneinw­anderung existenzie­lle Ängste hervor. Das Recht auf historisch­e Kontinuitä­t, von dem Ortega y Gasset sagte, dass es das fundamenta­lste aller Rechte sei, wird von diesem starken demografis­chen Wandel bedroht. Immer mehr Leute wählen deshalb die sogenannte extreme Rechte. Anderersei­ts – man sieht es in Deutschlan­d – gehen die Leute gegen das auf die Straße, was ihnen wie die Wiederkehr des Faschismus erscheint. Diese Radikalisi­erung vergiftet unser öffentlich­es Leben.

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APA Paul Krisai war bis 2023 ORFKorresp­ondent in Moskau wenn ihr euch entgegenst­ellt“?

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