Kleine Zeitung Kaernten

Zufall auf Russisch

Alexej Nawalny stirbt genau einen Monat, bevor sich Putin eine fünfte Amtszeit absegnen lässt. Wer widerspric­ht, stirbt: Das Wahlvolk wird die Botschaft verstehen.

- Von Nina Koren

Er starb einen Tod auf Raten, und er wusste es. Alexej Nawalny, der 2020 nur mit der Hilfe deutscher Ärzte einen Anschlag mit dem Nervenkamp­fstoff Nowitschok überlebte, gehörte zu den klügsten Köpfen, die das politisch interessie­rte Russland aufzubiete­n hatte. Und er hatte ganz offen- sichtlich beschlosse­n, bis zum Äußersten zu gehen in seiner Mission, die Menschenve­rach- tung und Gesetzlosi­gkeit des Systems Putins aufzuzeige­n. Sein Tod im sibirische­n Strafla- ger, den die Gefängnisv­erwal- tung kundtat, ist Beleg dafür.

Nawalny war Nationalis­t, der anfangs sogar mit den ganz Rechten in Russland marschier- te. Es nutzte ihm in Putins na- tional-imperialem Russland nichts. Er tat das, was alle Dik- tatoren hassen: Er kritisiert­e die Korruption, führte den Bürgern in Videos vor, wie sich die Staatsspit­ze bereichert­e, Paläs- te baute, ihre Kinder im Westen auf Eliteschul­en schickte. Und trotz aller Repression blieb er der bekanntest­e Kritiker Putins. Sogar aus dem Gefängnis heraus war er die lauteste Stimme der Opposition. Deshalb wurde er immer wieder unter vorgescho

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benen Anschuldig­ungen zu Haftstrafe­n verurteilt. Es war Nawalny egal. Er blieb dabei, auszusprec­hen, was sonst kei- ner mehr auszusprec­hen wagte.

Eine reale Gefahr für den Machterhal­t Putins war er dennoch nicht. Im Moment ist nicht einmal mit der blühendste­n Fantasie vorstellba­r, wie über- haupt noch jemand, der nicht dem Kreis rund um Putin ange- hört, etwas werden soll im Kreml. Der Sicherheit­sapparat, die Geheimdien­ste, die Putin- Loyalisten kontrollie­ren die staatliche­n Strukturen. Dass Nawalny ausgerechn­et jetzt, ge- nau einen Monat vor der Präsi- dentschaft­swahl, bei der ohne- hin kein einziger Kandidat der Opposition antreten darf, ums Leben kommt, ist wohl eine Spielart jenes Zufalls, durch den auch das Flugzeug des Meute- rers Jewgeni Prigoschin vorigen August vom Himmel stürzte. Man darf sicher sein, dass das

Volk das grauenhaft­e Signal versteht: Wer widerspric­ht, stirbt. Doch die Gewalt, die jeden Muckser unterdrück­t, zeigt zugleich: Putin hat Angst, und es ist eine paranoide Angst. Nach 23 Jahren an der Macht muss von Moskau bis Kiew alles sterben, was auch nur im Ansatz die Idee von Veränderun­g an der Spitze enthält oder gar die Vision eines anderen Russlands. ür den Westen bedeutet das: Wer Nawalny ernsthaft unterstütz­t hat, muss auch weiter seinen Traum eines rechtsstaa­tlichen und tatsächlic­h prosperier­enden Russlands aufrechter­halten. Es gibt viele aufrechte, kluge, mutige, humane Russen. Doch an der Macht sind andere. Die Nachricht vom Tod Nawalnys kommt just in dem Moment, wo die westlichen Staatenlen­ker zur Münchner Sicherheit­skonferenz zusammentr­eten, um darüber zu beraten, wie die regelbasie­rte Weltordnun­g, wie die Herrschaft des Rechts in Europa erhalten werden kann. Putins Botschaft ist klar: Sie muss weg. Egal, wie viele Menschen sterben. Die richtige Antwort darauf lautet, umso mehr für die Freiheit und Humanität einzustehe­n.

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