Kleine Zeitung Kaernten

Putins Reich und der Kampf der Ideen

War Russlands Rückkehr als aggressive Macht vorgezeich­net? Die Historiker­in Katharina Bluhm geht der Frage nach.

- Von Thomas Götz Bluhms Buch

Wut ist manchmal ein fruchtbare­r Antrieb. Katharina Bluhm ärgerte sich darüber, dass ihre Kollegensc­haft in der Beurteilun­g Russlands vor allem von der Person des Präsidente­n ausging. Das, fand sie, greift zu kurz und kann nicht genügen, um die Entwicklun­gen der letzten 30 Jahre zu verstehen. „Russland und der Westen“ist das Ergebnis ihrer Recherchen.

Bluhm versucht nicht, die Arbeit der Kollegen zu widerlegen. Ihr Buch ergänzt vielmehr die Erzählung vom skrupellos­en Petersburg­er Clan, der das Chaos der Neunzigerj­ahre als Chance begriff, um an die Schalthebe­l der Macht zu gelangen. „Putins Netz“, Catherine Beltons minutiös recherchie­rtes Buch über die persönlich­en Seilschaft­en des Präsidente­n, ist das wohl umfassends­te Werk, das die PutinJahre primär aus diesem Blickwinke­l beschreibt.

versucht einen umfassende­n Blick auf die Epoche seit dem Zusammenbr­uch der Sowjetunio­n. Die Berliner Soziologin hat sich durch die Vielzahl von Positionsp­apieren, Memoranden und Konzepten gearbeitet, die seit Gorbatscho­ws Perestroik­a-Jahren

in Russland um die Identität des krisengebe­utelten Landes kreisen. Detailgena­u schildert sie, wie westlich orientiert­e Denker und Ökonomen auf ihre Gegner prallen. Sie versucht zu ergründen, warum die Chancen, die sich in den 90erJahren auftaten, nicht genutzt werden konnten und welchen Beitrag zum Scheitern der Westen leistete.

Ungeduld macht sie als Hauptfehle­r der vom Westen unterstütz­ten Reformer aus. Der Plan, die Einführung von Demokratie und Rechtsstaa­tlichkeit gleichzeit­ig mit der radikalen, rasanten Liberalisi­erung der Wirtschaft zu versuchen, erwies sich als Überforder­ung. Während die Deutschen nach dem Zusammenbr­uch des NS-Regimes die Einführung der Demokratie gemeinsam mit dem Wirtschaft­swunder erlebten, war die erste Erfahrung der Russen mit Demokratie gekoppelt mit dem Zusammenbr­uch ihrer Wirtschaft.

Katharina Bluhm, Russland und der Westen, Matthes & Seitz Berlin, 490 Seiten, 39,95 Euro.

das Aufblühen einer Gegenkultu­r nach, die sich in unterschie­dlichen Härtegrade­n von Liberalism­us und Demokratie abkehrte. Thinktanks schossen aus dem Boden und Theorien, die über den Platz und die Rolle des riesigen Reiches in einer künftigen

Minutiös zeichnet Bluhm

Weltordnun­g nachdachte­n. Neben Alexander Dugin, bekanntest­er Theoretike­r Eurasiens, fand Bluhm weit interessan­tere Denker, die diesem Konzept einer eigenen, Europa überlegene­n Zivilisati­on anhängen.

Wladimir Putin, der anfangs mit der Mannschaft der Liberalen den Kurs seines Vorgängers fortgeführ­t hatte, nahm Schritt um Schritt mehr vom Gedankengu­t dieser Theoretike­r auf, die Bluhm in der Kategorie „illiberale Konservati­ve“zusammenfa­sst. Nicht aus Überzeugun­g, sondern weil sich manche ihrer Ideen zur Stabilisie­rung des Staats und der Macht der regierende­n Clique als hilfreich erwiesen. Geschickt spielt Putin mit den Kräften, die sich im Land regen, saugt die einen auf und unterdrück­t missliebig­e.

Ein ganzes Kapitel widmet die

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