Putins Reich und der Kampf der Ideen
War Russlands Rückkehr als aggressive Macht vorgezeichnet? Die Historikerin Katharina Bluhm geht der Frage nach.
Wut ist manchmal ein fruchtbarer Antrieb. Katharina Bluhm ärgerte sich darüber, dass ihre Kollegenschaft in der Beurteilung Russlands vor allem von der Person des Präsidenten ausging. Das, fand sie, greift zu kurz und kann nicht genügen, um die Entwicklungen der letzten 30 Jahre zu verstehen. „Russland und der Westen“ist das Ergebnis ihrer Recherchen.
Bluhm versucht nicht, die Arbeit der Kollegen zu widerlegen. Ihr Buch ergänzt vielmehr die Erzählung vom skrupellosen Petersburger Clan, der das Chaos der Neunzigerjahre als Chance begriff, um an die Schalthebel der Macht zu gelangen. „Putins Netz“, Catherine Beltons minutiös recherchiertes Buch über die persönlichen Seilschaften des Präsidenten, ist das wohl umfassendste Werk, das die PutinJahre primär aus diesem Blickwinkel beschreibt.
versucht einen umfassenden Blick auf die Epoche seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion. Die Berliner Soziologin hat sich durch die Vielzahl von Positionspapieren, Memoranden und Konzepten gearbeitet, die seit Gorbatschows Perestroika-Jahren
in Russland um die Identität des krisengebeutelten Landes kreisen. Detailgenau schildert sie, wie westlich orientierte Denker und Ökonomen auf ihre Gegner prallen. Sie versucht zu ergründen, warum die Chancen, die sich in den 90erJahren auftaten, nicht genutzt werden konnten und welchen Beitrag zum Scheitern der Westen leistete.
Ungeduld macht sie als Hauptfehler der vom Westen unterstützten Reformer aus. Der Plan, die Einführung von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit gleichzeitig mit der radikalen, rasanten Liberalisierung der Wirtschaft zu versuchen, erwies sich als Überforderung. Während die Deutschen nach dem Zusammenbruch des NS-Regimes die Einführung der Demokratie gemeinsam mit dem Wirtschaftswunder erlebten, war die erste Erfahrung der Russen mit Demokratie gekoppelt mit dem Zusammenbruch ihrer Wirtschaft.
Katharina Bluhm, Russland und der Westen, Matthes & Seitz Berlin, 490 Seiten, 39,95 Euro.
das Aufblühen einer Gegenkultur nach, die sich in unterschiedlichen Härtegraden von Liberalismus und Demokratie abkehrte. Thinktanks schossen aus dem Boden und Theorien, die über den Platz und die Rolle des riesigen Reiches in einer künftigen
Minutiös zeichnet Bluhm
Weltordnung nachdachten. Neben Alexander Dugin, bekanntester Theoretiker Eurasiens, fand Bluhm weit interessantere Denker, die diesem Konzept einer eigenen, Europa überlegenen Zivilisation anhängen.
Wladimir Putin, der anfangs mit der Mannschaft der Liberalen den Kurs seines Vorgängers fortgeführt hatte, nahm Schritt um Schritt mehr vom Gedankengut dieser Theoretiker auf, die Bluhm in der Kategorie „illiberale Konservative“zusammenfasst. Nicht aus Überzeugung, sondern weil sich manche ihrer Ideen zur Stabilisierung des Staats und der Macht der regierenden Clique als hilfreich erwiesen. Geschickt spielt Putin mit den Kräften, die sich im Land regen, saugt die einen auf und unterdrückt missliebige.
Ein ganzes Kapitel widmet die