Nawalnys Vermächtnis
Der Tod des Widerstandshelden sollte die russische Bevölkerung ermutigen. Das war Nawalnys kühne Erwartung. Wenig spricht dafür, dass sie sich erfüllt.
und 60.000 Mal wurde allein gestern auf unseren digitalen Plattformen jenes Video aufgerufen, in dem Alexej Nawalny sein Vermächtnis in die Kamera lächelte. Es war eine Ermutigung an die Mitstreiter. Der Unbeugsame reichte seine Furchtlosigkeit weiter: Man möge nicht aufgeben. Sein Tod, so er ihn erleide, werde ein Be- weis sein, wie stark man sei. Das Böse triumphiere nur bei Untätigkeit. „Bleibt nicht untätig!“Das war unter der Annahme des eigenen Todes gesprochen. Er sollte kein heroisches, vergebli- ches Opfer gewesen sein, son- dern in den Menschen das Feuer des Freiheitswillens neu entzün- den. Sie sollten nicht in die Ago- nie als Unterjochte zurückgewor- fen werden, sondern es ihm, Na- walny, gleichtun.
Ob sich der Aufruf des nun- mehr betrauerten Idols erfüllen wird, ist fraglich. Groß ist die Hoffnung nicht. Der Tod hat sie zunichtegemacht. Drangsal und Drohungen gehen weiter. Der Traum vom besseren Russland offenbart sich mehr denn je als fernes, illusionäres Gegenbild zur Gegenwart Putins und seiner Ge- waltherrschaft. Eher weckt der
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Tod in der Strafkolonie Assozia- tionen an die Gulag-Vergangenheit. ewiss, die Nachwelt wird Nawalny, den Helden des subversiven Humors, in die Galerie der großen Wider- standsikonen einreihen, von den Geschwistern Scholl bis Havel, von Politkowskaja bis Solscheni- zin. Aber dass sich die Glut über- trägt und eine Aufbruchsbewe- gung entfacht, ist nach dem Exo- dus der Kritiker und angesichts der repressiven Verhältnisse nicht zu erwarten. Gandhis und Sacharows sind testamentarisch nicht zu duplizieren. Sie bleiben Solitäre der Geschichte.
Für die Einordnung des Todes ist es unerheblich, wie man ihn klassifiziert, ob als politischen Mord oder nicht. Diese Trenn- schärfen mögen in Demokratien von Relevanz sein, nicht aber im Diktatorenkerker am Polarkreis. Nicht für einen politischen Häft
Gling, der für Putin zum Albtraum geworden war. Fest steht, dass das Regime den Tod zu verantworten hat. Ob der Tod willentlich herbeigeführt oder durch Folter und Martyrium in Kauf genommen wurde, ändert daran nichts. utin, der vorgeblich „missverstandene Petersburger Europäer“(Roger Köppel), hat sich damit von der zivilisierten Welt noch weiter entfernt. Er ist in diese nicht mehr integrierbar. Der freie Westen muss geschlossen und abschreckungsfähig bleiben, entschiedener als bisher. Nur unverbesserliche Neutralisten zur Linken und Rechten winden sich. Die SPÖ offenbart einmal mehr ihre Leerstelle in der Außenpolitik. „Bei Fremdverschulden“seien die Täter auszuforschen und zu bestrafen. Der Vorsitzende des außenpolitischen Ausschusses, Matznetter, wattiert Nawalnys Märtyrertod als ungeklärten medizinischen Todesfall mit Überweisungsformular für die Obduktion. Und die mit dem russischen Freundschaftsvertrag schweigen vielsagend.
Mehr können sie für ihr Land nicht tun.
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