Kleine Zeitung Kaernten

Exit aus dem Elend

Israels Premier Netanjahu will den letzten Rückzugsor­t für Zivilisten in Gaza einnehmen. Damit stößt er sogar seine engsten Verbündete­n, die USA, vor den Kopf.

- Von Julian Melichar

er gedacht hat, dass ein Krieg wie ein chirurgisc­her Eingriff – schmerzhaf­t, aber schnell – durchgefüh­rt werden könnte, wurde mit dem jüngsten Nahostkrie­g eines Besseren belehrt. Der Krieg walzt am Ende des Tages alles nieder und ordnet das Leben dem Sieg unter. So berech- tigt Israel von seiner Selbstver- teidigung nach dem schlimms- ten Angriff auf jüdisches Leben seit dem Holocaust Gebrauch ge- macht hat, so unverhältn­ismä- ßig wird der Krieg nun in die Län- ge gezogen.

Israels Premiermin­ister Benja- min Netanjahu will eine Offensi- ve in Rafah – dem letzten ver- bliebenen Zipfel in Gaza, in dem Zivilisten bisher von Bombarde- ments in relativer Sicherheit wa- ren – um jeden Preis durchfüh- ren. Eine Evakuierun­g scheint von dort aber unmöglich: Der ein- zige Weg raus führt über Ägyp- ten, das sich weigert, die Grenzen zu öffnen. Große Teile Gazas lie- gen hingegen in Schutt und Asche.

Israels Premier hat sich ver- kalkuliert. Um von Erfolgen sprechen zu können, sind zu wenige Geiseln befreit. Noch immer sind rund 130 in Gefangensc­haft.

Wjulian.melichar@kleinezeit­ung.at

Gerade einmal drei wurden durch heroische militärisc­he Operatione­n, wie sie die Regie- rung in Tel Aviv so gerne insze- niert, befreit, der Rest mittels Di- plomatie. Gleichzeit­ig hungern Tausende Kinder und palästi- nensische Zivilisten. Vom ausge- rufenen Kriegsziel, die Hamas zu zerstören, ist Israel weit ent- fernt. 12.000 Terroriste­n seien bisher zur Strecke gebracht wor- den. Das ist, wenn man großzü- gig rechnet, ein Drittel aller Kämpfer. Die Hamas wird nicht ausgemerzt werden können. Die Macht der Mörder wird durch Ge- walt genährt. Ein Angriff auf Ra- fah wird die Terroriste­n weiter stärken, Palästinen­ser weiter in die Arme der Ketzer treiben. Mangelnde Perspektiv­en lassen Menschen Richtung Abgrund schielen, nicht dem Frieden frö- nen.

Netanjahu isoliert sein Land zunehmend, vergrault seine engsten Unterstütz­er. Selbst die

USA oder Deutschlan­d gehen auf Abstand. Sie tun gut daran, nicht in die Solidaritä­tsfalle zu tappen. Denn Netanjahu ist an diesem Punkt jedes Mittel recht. Innenpolit­isch ist er angezählt. Solange Krieg herrscht, wird es keine Neuwahlen geben. Diese würden ihn wohl Amt und Macht kosten. Also wird weitergekä­mpft. Und gleichzeit­ig eine mögliche Zweistaate­nlösung in Abrede gestellt.

Wenn die Hamas die Geiseln freigeben würde, wäre der Krieg vorbei. Das stimmt. Richtig ist auch, dass sich in Rafah womöglich große Teile der Terrorzell­e befinden. Israel ist nicht für den Krieg verantwort­lich. Aber hat diesen zu verantwort­en. Denn Israel ist ein Staat, die einzige Demokratie im Nahen Osten. Das Land muss jetzt mit Exit-Szenarien für die Zeit nach dem Krieg aufwarten. Sich dem Niveau seiner Gegner, der Terror-Regierung der Hamas, anzunähern, wäre fatal. enn Israel eine ernsthafte und friedliche Perspektiv­e für seine Bevölkerun­g will, muss es auch eine Perspektiv­e für Palästinen­ser bieten. Sonst wird sich der 7. Oktober wiederhole­n. Auch bei einem militärisc­hen Sieg.

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