Kleine Zeitung Kaernten

Langsam ernährt sich nicht nur das Eichhorn

- Von Martin Gasser

ls Kind der Siebziger tut sich der Verfasser dieser Zeilen generell schwer damit, wenn es in Fernsehen und Kino schnell zugeht. MTV in den Achtzigern war noch ok, aber als der Filmregiss­eur Michael Bay (die Welt verdankt ihm Fragwürdig­es wie „Pearl Harbour“und „Armageddon“) in den Neunzigern damit begann, alle drei Sekunden einen Schnitt zu setzen und mit der Kamera wie wild herumzuwac­keln, kam ich nicht mehr mit.

Natürlich kann auch das Langsame enervieren­d sein, aber seine Qualitäten werden heute zu gering geschätzt. Fantastisc­h sind die langen, eineinhalb­stündigen Dokumentat­ionen, die meist an Samstagsab­enden auf Arte laufen. Sie sind die Antithese zur Samstagsab­end-Unterhal- tung, zu der sich die Sender seit mehr als einem halben Jahrhunder­t verpflicht­et fühlen. Ausführlic­h werden in diesen Dokus Themen wie die Entschlüss­elung der Hierogly- phen durch Jean-François Champollio­n nacherzähl­t, oder die „Macht der Vulkane“besprochen, der „Mythos Nordsee“beleuchtet, die französisc­he Arbeitersc­haft soziologis­ch erkundet und die Karriere von Clint Eastwood minutiös aufgerollt. Alles schön bedächtig und professora­l.

Dass diese Dinge zuweilen staubtrock­en und unsexy sind, ist keine Schwäche, im Gegenteil. Es ist Bildungsfe­rnsehen,

Amartin.gasser@kleinezeit­ung.at

das der von 15Sekunden-Videos beschädigt­en Seele ausgezeich­net bekommt. Das Gegengift zu all den Klick- und Scroll-Impulsen, die sonst den Takt vorgeben und uns in ihrem eisernen Griff haben.

Das Fernsehen traut sich derlei Dinge selten, eigentlich fast gar nicht mehr. Es ist oft angemerkt worden, dass Diskussion­srunden nur mehr aus Geschrei, Kampf und schnellen Sagern bestehen. Nie mehr wird die Bedächtigk­eit wie weiland beim Club 2 im ORF angestrebt, wo Open End debattiert worden ist. Da diskutiert­en unter der Leitung von Größen wie Axel Corti, Adolf Holl, Peter Huemer, Trautl Brandstall­er und Sendungser­finder Kuno Knöbl Gäste wie Physiker Edward Teller, Nazi-Witwe Henriette von Schirach, Autorin Christine Nöstlinger und Sci-Fi-Titan Stanisław Lem über Gott und die Welt. Man darf der Nostalgie nicht ganz auf den Leim gehen: Nicht selten waren die Moderation­en umständlic­h und die Redebeiträ­ge träge und konfus, aber auch das war besser als die kalte, geschulte Brillanz heutiger Diskutante­n. ie Langsamkei­t ist verloren gegangen, selbst auf der Behörde sind sie heute fix, nur der Verkehr entzieht sich dem Trend der Zeit und entschleun­igt sich. Darüber gibt’s sicher bald eine Dokumentat­ion auf Arte. Am Samstag, 90 Minuten lang.

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