Leitkultur – was soll das sein?
eitartikel hat man schon viele gelesen; mit manchen war man einverstanden, mit anderen nicht. Leitfiguren oder solchen, die sich dafür halten, ist man im Laufe der Zeit immer wieder begegnet; manchen hat man Respekt gezollt, gegen andere sich aufgelehnt. Leitfäden wiederum hat man beim Bedienen von Geräten, beim Erlernen fremder Sprachen, beim Erkunden fremder Länder gerne zu Rate gezogen. Aber eine Leitkultur? Was mag das sein? Wer bestimmt darüber? Die zahlende oder die schweigende Mehrheit?
Niemand weiß es so recht und doch geistert der Begriff seit Jahren durch Sonntagsreden und Wahlkampfansagen, wird immer wieder aufgegriffen, vornehmlich von konservativen Politikerinnen und Politikern. Zuletzt vom Bundeskanzler, der im Rahmen seines „Österreichplans“ankündigte, in einem großen Nachdenkprozess eine österreichische Leitkultur fixieren zu wollen, quasi als Hausordnung für das Haus Österreich und zugleich als eine Art verfassungsrechtlich verankerte und damit allgemein verbindliche Lebensart, unverwechselbar, unverhandelbar, und vor allem: typisch für dieses Land. as „typisch österreichisch“ist, darüber haben sich hierzulande schon viele den Kopf zerbrochen; die Ergebnisse füllen eine ganze Bibliothek und sind beredtes Zeugnis für das zwiespältige, das zutiefst ambivalente Verhältnis der österreichischen Nation zu sich selbst. „Das Beiwort ‚österreichisch‘“, meinte Hans Weigel schon in den frühen Tagen der Zweiten Republik, „hat für den Österreicher ein negatives Vorzeichen, und sein Leiblied ‚O du mein Österreich‘ klingt nicht wie eine Fanfare, sondern ist ein auskomponierter Stoßseufzer der Resignation“. Wenn es jemals eine österreichische Leitkultur gegeben hat, bestand sie im Wesentlichen aus dem Leiden an der eigenen Kultur und aus der Fähigkeit, sie dennoch zu lieben. Denn Liebe, um noch einmal Weigel zu zitieren, „gilt nicht dem Vollkommenen, sondern vollendet das Unvollendete. Liebe sucht nicht Fehlerloses, sondern verklärt die Fehler, sagt nicht ‚deshalb‘, sondern ‚trotzdem‘“.
ist Autor in Graz und Vorsitzender des Österreichischen Schriftsteller/innenverbandes.
L„Österreichische Leitkultur besteht aus dem Leiden an der eigenen Kultur und der Fähigkeit, sie dennoch zu lieben.“
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