Ein Kämpfer, kein Heiliger
Dem inhaftierten Wikileaks-Aufdecker Julian Assange droht die Auslieferung an die USA: Was wiegt Ringen um Wahrheit, wo kippt der Staatsapparat Menschenrechte?
eine Person ist nicht frei von Bruchstellen und Fragezeichen, seine Psyche offenbar hochkomplex. Trotzdem darf, nein, muss man sich die Frage stellen: Wie kann es sein, dass Julian Assange, der USKriegsverbrechen im Irak und in Afghanistan öffentlichkeits- wirksam auf seiner Plattform Wikileaks enthüllte, seit fünf Jahren im gefürchteten Londo- ner Hochsicherheitsgefängnis Belmarsh einsitzen muss?
Manfred Nowak, Menschenrechtsexperte und Ex-Sonderbe- richterstatter der UN, pocht zu Recht auf die Bedeutsamkeit von Investigativjournalismus und nennt das Bestrafen von Whistleblowern wie Assange im ORF-Interview „völlig absurd“.
Die Schicksale bzw. das Wir- ken von Assange und dem aller Wahrscheinlichkeit nach ermor- deten Kremlkritiker Alexej Na- walny lassen sich nicht verglei- chen: Letzterem ging es darum, das in Russland installierte Re- gime aufzubrechen, die Deka- denz im Oligarchensumpf rund um den Kreml-Obersten zu ent- larven. Am Ende bezahlte er den mutigen, für ihn unumgängli- chen Kampf für Demokratie und gegen das von Paranoia, Hass
Sthomas.golser@kleinezeitung.at
und Niedertracht angetriebene Panzerschiff Putin mit dem Le- ben. Assange deckte indes ver- brecherische Machenschaften auf militärischer bzw. US-Regie- rungsebene im Krieg auf.
Unter Millionen Wikileaks- Dokumenten fand sich auch das Video „Collateral Murder“, das zeigt, wie US-Soldaten im Irak aus einem Hubschrauber heraus Zivilisten töten. Assange gefährdete durch die Nennung von Namen aber auch Personen im US-Geheimdienst, was einer der Hauptvorwürfe gegen ihn ist. Dazu könnte der Australier 2016 indirekt der Wahl von Donald Trump zum US-Präsidenten zu- träglich gewesen sein. Das nagt am Opferstatus – obgleich seine fortgesetzt unmenschliche Be- handlung empört. Folgt jetzt die Rache von Staats wegen?
Assange begleitet seit Jahren die Angst vor einer möglichen Auslieferung in die Vereinigten Staaten. Er sei ein terroristischer Spion, Wikileaks nichts anderes als ein „nichtstaatlicher, feindlicher Geheimdienst“, klagen US-Militärs und Nachrichtendienste an. Die Vorwürfe reichen bis ins Jahr 2010 zurück.
Im Unterschied zu Russland – Nawalny wurde zur Endstation Polarkreis verbracht – folgen die USA zumindest demokratischen Prinzipien. Allerdings drohen dem 52-Jährigen dort bis zu 175 Jahre Haft. Muss der schwer Angeschlagene den Rest seiner Tage in einem US-Gefängnis verbringen, könnte ihn das ebenfalls das Leben kosten. ssange grub beharrlich und fand reichlich. Man muss ihn nicht zum Helden der Grauzone verklären, doch lebenslang als Rechnung für das Aufdecken menschenrechtswidriger Verbrechen wäre eine verheerende Botschaft.
Man stelle sich die wahre Frage: Das Ringen um und das Vorlegen von Wahrheit sind im Journalismus höchste Güter – sollte das Aufdecken von Verbrechen in dieser verqueren Welt nicht auch insgesamt ein Auftrag sein? Vergehen, für die die Kriegsverbrecher bis heute nicht vor ein US-Gericht gestellt wurden, wohlgemerkt.
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