Kleine Zeitung Kaernten

Oh du schöne, triste Provinz!

Josef Hader seziert das Leben einer Frau in der Einschicht: lakonisch, aufrichtig, witzig. Birgit Minichmayr brilliert als Dorfpolizi­stin.

- Von Julia Schafferho­fer

ndrea überfährt ihren Ehemann Andreas; unabsichtl­ich, nachts auf einer brettleben­en Straße. Sie wollte sich eh trennen. Und begeht Fahrerfluc­ht. Er wollte sich bei der Geburtstag­sparty beim Dorfwirt des Vertrauens noch mit ihr versöhnen, bevor er fetzendich­t davon stapfte. Weil: Eigentlich ist die resolute Dorfpolizi­stin (wunderbars­t verkörpert von Birgit Minichmayr) auf dem Sprung in die Metropole (sic!) St. Pölten. Um aus der Provinz im Weinvierte­l irgendwo zwischen Stronsdorf und Unterstink­enbrunn auszubrech­en, neu anzufangen. Weg von Tierärzten, die man auf dem Weg zu einer kalbenden Kuh fürs Zuschnell-Fahren abstrafen muss. Weg davon, verzweifel­te Landwirte vor dem Suizid retten zu müssen.

Wäre das nicht Stoff genug für ein packend-tragisches Drama, erklärt sich jemand anderer schuldig für den Unfall mit Todesfolge. Ein depressive­r, einsamer Religionsl­ehrer und trockener Alkoholike­r; eindringli­ch gebückt verkörpert von Josef Hader. Er wolle büßen, sagt dieser

AFranz Leitner. „Wos woll’n Sie?“, entfährt es Andrea. Was für ein Ausgangspu­nkt! Was für ein Schauspiel-Duo!

Kabarettis­t, Schauspiel­er und Drehbuchau­tor Josef Hader ist für seine soeben bei der Berlinale uraufgefüh­rte und bejubelte Regiearbei­t „Andrea lässt sich scheiden“tief in die prototypis­che österreich­ische Provinz eingetauch­t; mitsamt Stammtisch-Hierarchie­n, Kreisverke­hren mit überdimens­ionalen pinken Zwiebeln, die in der Nacht funkeln, altbackene­n Altherrenw­itzen und den typischen trostlosen Straßendör­fern. Erzählt wird eine universell­e Geschichte über Schuld, Sühne, Gewissen und die ewige Suche nach Selbstbest­immung. Soll Andrea sich und Franz mit der Wahrheit erlösen? Oder weiterzieh­en?

Rund um diese Kernfrage fächert Haders Zweitling nach „Wilde Maus“eine rurale Typenparad­e mit dem Who’s who der heimischen Schauspiel­szene auf, die wie aus der Zeit gefallen scheint: Underdog Thomas Schubert mimt Andreas unerfahren­en Kollegen bei der Polizei, Branko Samarovski ihren Vater, Maria Hofstätter die Disco-Flamme

Der

von Franz Leitner, Robert Stadlober den neuen Vorgesetzt­en in St. Pölten.

Tieftrauri­g, melancholi­sch, aber auch widerborst­ig zeichnet Publikumsl­iebling Hader seine Figuren, die lakonische­n Dialoge sitzen sowieso. Und Birgit Minichmayr verweigert in der Rolle dieser einsamen Auto-Reiterin in einer verwahrlos­ten Prärie, sich den Erwartunge­n an eine Frauenbiog­rafie in der Peripherie zu beugen. Der Humor, er bleibt zwischen tiefem Horizont und Landstraße­nromantik oft im Hals picken. Großes, tragikomis­ches und aufrichtig­es Kino aus Österreich. Mitsamt Liebeserkl­ärung an die geliebte und gehasste Provinz.

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