Zweierlei Maß
Was bedeutet es, wenn wir unsere ethischen Maßstäbe nach unseren eigenen Präferenzen ausrichten? Einblicke in Ungleichheit und ihre Folgen für Demokratie und Vertrauen.
ie Weltgeschichte ist voll von bemerkenswerten Zufällen. Da unter den routinemäßig zur Eröffnung der Berlinale geladenen Kultursprechern der Parteien auch gewählte AfD-Mandatare waren, verfassten Filmschaffende ein Protestschreiben, das die Festival-Leitung bewog, die missliebigen Abgeordneten wieder auszuladen. Die Begründung dafür lautete, dass sich jüdische Menschen in Anwesen- heit der Rechtsaußen-Politiker nicht sicher fühlen könnten. Nahezu zeitgleich wurde ein jüdischer Student der Freien Universität Berlin von einem propalästinensischen Kommilitonen krankenhausreif geschlagen, nachdem schon zuvor in sozialen Netzwerken eine Hetzkampagne gegen ihn gestartet worden war. Die Universitätsleitung reagierte sehr zögerlich, murmelte zuerst sogar etwas von Meinungsfreiheit. Man hat verstanden: Die Anwesenheit von zwei oder drei AfDlern inmitten von hunderten antifaschistischen Künstlern ist bedrohlich, die brutale physische Gewalttat von linken Antisemiten ein Ausdruck des offenen Diskurses. Wir messen gerne mit zweierlei Maß. ls die stellvertretende Chefredakteurin der Süddeutschen Zeitung ins Visier eines bekannten Plagiatsjägers geriet und die eigene Redaktion die Vorwürfe offen- bar für so gravierend hielt, dass eine Kommission eingerichtet wurde, überzogen gehässige Poster die Journalistin mit Spott und Häme, was
DAAist Universitätsprofessor i. R. am Institut für Philosophie der Universität Wien.
Lauter Lügen, Zsolnay-Verlag, 256 Seiten, 26,80 Euro diese fast zu einer Verzweiflungstat getrieben hätte. Daraufhin bekundeten viele Medien ihre Solidarität mit der Kollegin und es wurde – wohl zu Recht – die Praxis der Plagiatsjagden kritisch infrage gestellt. Einige wissenschaftliche oder journalistische Fehler, meist gar nicht in böser Absicht produziert, können doch nicht über die Karriere und das Leben eines Menschen entscheiden. ls vor wenigen Jahren die damalige österreichische Arbeitsministerin mit einer FH-Diplomarbeit und einer Dissertation demselben Plagiatsjäger aufgefallen war, waren es die jetzt so sensiblen Medien gewesen, die diese Vorwürfe genüsslich auswalzten, bis die Politikerin zurückgetreten war. Die zuständigen Universitäten hatten zwar nach Prüfung keine Aberkennungsverfahren eingeleitet, das kümmerte allerdings niemanden: Die Internet-Community hatte ihr Urteil längst gesprochen. Was diese Kampagne für die Frau persönlich bedeutete, interessierte die linksliberale Presse nicht sonderlich, die Beschuldigte gehörte ja dem anderen politischen Lager an, und für dieses gibt es keine Empathie.
Wir messen gerne mit zweierlei Maß. wei Beispiele unter vielen. Was bedeutet es, wenn wir unsere ethischen Maßstäbe nach unseren eigenen Präferenzen ausrichten, was bedeutet es, wenn wir den Rechtsstaat nur dann beschwören, wenn er unseren Interessen dient, was bedeutet es, wenn das politische Biotop, in dem wir uns bewegen, schützenswerter erscheint als andere ideologische Blasen? Auf Anhieb würde man sagen, dass dies für die Demokratie höchst bedenklich ist. Das Vertrauen in Medien und Justiz wird nachhaltig gestört, wenn die Bürger den Eindruck haben, dass nicht für alle das Gleiche gilt. etrachtet man die Dinge nüchtern, wird man erkennen, dass das Messen mit zweierlei Maß nicht zu vermeiden ist. Die eigenen Überzeugungen und Meinungen müssen uns mehr bedeuten als die der anderen, ansonsten könnten wir schwer argumentieren, warum wir gerade diese und keine alternative Position vertreten. Das eigene Weltbild zu immunisieren, gehört zur politischen Hygiene jeder Gruppierung. Viel wäre schon gewonnen, würde zugegeben, dass man manches nicht so genau nimmt, geht es um die eigenen Belange und Befindlichkeiten. Erhellend wäre es allemal, wenn wir einmal den Maßstab verwechselten und uns plötzlich mit den Augen der Anderen sähen. Doch keine Sorge: Vor diesem Fehlgriff sind wir gefeit.
ZB
ßend in den Bundesrat. Zustimmungsbedürftig ist es nicht. Cannabis wird im Betäu- bungsmittelgesetz von der
Liste der verbotenen Stoffe gestrichen. Der Umgang damit soll dann künftig zwar per Gesetz grundsätzlich verboten sein – aber mit drei festgelegten Ausnahmen für Personen ab 18 Jahren. Diese betreffen den Besitz bestimmter Mengen, den privaten Eigenanbau sowie Anbau und Weitergabe in speziellen Vereinen. Für Minderjährige bleiben Erwerb, Besitz und Anbau von Cannabis komplett verboten. Untersagt wird Kiffen auch in unmittelbarer Umgebung von unter 18-Jährigen und an gewissen Orten des öffentlichen Lebens. Etwa auf Spielplätzen oder in Fußgängerzonen (von 7.00 bis 20.00 Uhr). Tabu bleiben soll der Konsum auch in den militärischen Bereichen der Bundeswehr.
Erlaubt werden soll der Besitz von bis zu 25 Gramm getrocknetem Pflanzenmaterial zum
Um gemeinschaftlich angebautes Cannabis zu bekommen, muss man es persönlich vor Ort entgegennehmen, den Mitgliedsausweis und einen amtlichen Ausweis mit Foto vorlegen. Erlaubt ist nur Cannabis in Reinform oder abgesondertes Harz (Haschisch). Die Verpackung muss neutral sein. Ein Kaufpreis darf nicht verlangt werden, finanzieren sollen sich die Vereinigungen durch ihre Mitgliedsbeiträge. Geregelt sind auch Dokumentationspflichten und amtliche Kontrollen. Begleitend prüft das Verkehrsministerium gerade, wie ein THC-Grenzwert für Cannabis am Steuer gefasst werden könnte – ähnlich wie die 0,5-Promille-Grenze für Alkohol. Bis Ende März sollen Expertenvorschläge vorliegen.