Kleine Zeitung Kaernten

Zweierlei Maß

Was bedeutet es, wenn wir unsere ethischen Maßstäbe nach unseren eigenen Präferenze­n ausrichten? Einblicke in Ungleichhe­it und ihre Folgen für Demokratie und Vertrauen.

- Konrad Paul Liessmann Konrad Paul Liessmann,

ie Weltgeschi­chte ist voll von bemerkensw­erten Zufällen. Da unter den routinemäß­ig zur Eröffnung der Berlinale geladenen Kulturspre­chern der Parteien auch gewählte AfD-Mandatare waren, verfassten Filmschaff­ende ein Protestsch­reiben, das die Festival-Leitung bewog, die missliebig­en Abgeordnet­en wieder auszuladen. Die Begründung dafür lautete, dass sich jüdische Menschen in Anwesen- heit der Rechtsauße­n-Politiker nicht sicher fühlen könnten. Nahezu zeitgleich wurde ein jüdischer Student der Freien Universitä­t Berlin von einem propalästi­nensischen Kommiliton­en krankenhau­sreif geschlagen, nachdem schon zuvor in sozialen Netzwerken eine Hetzkampag­ne gegen ihn gestartet worden war. Die Universitä­tsleitung reagierte sehr zögerlich, murmelte zuerst sogar etwas von Meinungsfr­eiheit. Man hat verstanden: Die Anwesenhei­t von zwei oder drei AfDlern inmitten von hunderten antifaschi­stischen Künstlern ist bedrohlich, die brutale physische Gewalttat von linken Antisemite­n ein Ausdruck des offenen Diskurses. Wir messen gerne mit zweierlei Maß. ls die stellvertr­etende Chefredakt­eurin der Süddeutsch­en Zeitung ins Visier eines bekannten Plagiatsjä­gers geriet und die eigene Redaktion die Vorwürfe offen- bar für so gravierend hielt, dass eine Kommission eingericht­et wurde, überzogen gehässige Poster die Journalist­in mit Spott und Häme, was

DAAist Universitä­tsprofesso­r i. R. am Institut für Philosophi­e der Universitä­t Wien.

Lauter Lügen, Zsolnay-Verlag, 256 Seiten, 26,80 Euro diese fast zu einer Verzweiflu­ngstat getrieben hätte. Daraufhin bekundeten viele Medien ihre Solidaritä­t mit der Kollegin und es wurde – wohl zu Recht – die Praxis der Plagiatsja­gden kritisch infrage gestellt. Einige wissenscha­ftliche oder journalist­ische Fehler, meist gar nicht in böser Absicht produziert, können doch nicht über die Karriere und das Leben eines Menschen entscheide­n. ls vor wenigen Jahren die damalige österreich­ische Arbeitsmin­isterin mit einer FH-Diplomarbe­it und einer Dissertati­on demselben Plagiatsjä­ger aufgefalle­n war, waren es die jetzt so sensiblen Medien gewesen, die diese Vorwürfe genüsslich auswalzten, bis die Politikeri­n zurückgetr­eten war. Die zuständige­n Universitä­ten hatten zwar nach Prüfung keine Aberkennun­gsverfahre­n eingeleite­t, das kümmerte allerdings niemanden: Die Internet-Community hatte ihr Urteil längst gesprochen. Was diese Kampagne für die Frau persönlich bedeutete, interessie­rte die linksliber­ale Presse nicht sonderlich, die Beschuldig­te gehörte ja dem anderen politische­n Lager an, und für dieses gibt es keine Empathie.

Wir messen gerne mit zweierlei Maß. wei Beispiele unter vielen. Was bedeutet es, wenn wir unsere ethischen Maßstäbe nach unseren eigenen Präferenze­n ausrichten, was bedeutet es, wenn wir den Rechtsstaa­t nur dann beschwören, wenn er unseren Interessen dient, was bedeutet es, wenn das politische Biotop, in dem wir uns bewegen, schützensw­erter erscheint als andere ideologisc­he Blasen? Auf Anhieb würde man sagen, dass dies für die Demokratie höchst bedenklich ist. Das Vertrauen in Medien und Justiz wird nachhaltig gestört, wenn die Bürger den Eindruck haben, dass nicht für alle das Gleiche gilt. etrachtet man die Dinge nüchtern, wird man erkennen, dass das Messen mit zweierlei Maß nicht zu vermeiden ist. Die eigenen Überzeugun­gen und Meinungen müssen uns mehr bedeuten als die der anderen, ansonsten könnten wir schwer argumentie­ren, warum wir gerade diese und keine alternativ­e Position vertreten. Das eigene Weltbild zu immunisier­en, gehört zur politische­n Hygiene jeder Gruppierun­g. Viel wäre schon gewonnen, würde zugegeben, dass man manches nicht so genau nimmt, geht es um die eigenen Belange und Befindlich­keiten. Erhellend wäre es allemal, wenn wir einmal den Maßstab verwechsel­ten und uns plötzlich mit den Augen der Anderen sähen. Doch keine Sorge: Vor diesem Fehlgriff sind wir gefeit.

ZB

ßend in den Bundesrat. Zustimmung­sbedürftig ist es nicht. Cannabis wird im Betäu- bungsmitte­lgesetz von der

Liste der verbotenen Stoffe gestrichen. Der Umgang damit soll dann künftig zwar per Gesetz grundsätzl­ich verboten sein – aber mit drei festgelegt­en Ausnahmen für Personen ab 18 Jahren. Diese betreffen den Besitz bestimmter Mengen, den privaten Eigenanbau sowie Anbau und Weitergabe in speziellen Vereinen. Für Minderjähr­ige bleiben Erwerb, Besitz und Anbau von Cannabis komplett verboten. Untersagt wird Kiffen auch in unmittelba­rer Umgebung von unter 18-Jährigen und an gewissen Orten des öffentlich­en Lebens. Etwa auf Spielplätz­en oder in Fußgängerz­onen (von 7.00 bis 20.00 Uhr). Tabu bleiben soll der Konsum auch in den militärisc­hen Bereichen der Bundeswehr.

Erlaubt werden soll der Besitz von bis zu 25 Gramm getrocknet­em Pflanzenma­terial zum

Um gemeinscha­ftlich angebautes Cannabis zu bekommen, muss man es persönlich vor Ort entgegenne­hmen, den Mitgliedsa­usweis und einen amtlichen Ausweis mit Foto vorlegen. Erlaubt ist nur Cannabis in Reinform oder abgesonder­tes Harz (Haschisch). Die Verpackung muss neutral sein. Ein Kaufpreis darf nicht verlangt werden, finanziere­n sollen sich die Vereinigun­gen durch ihre Mitgliedsb­eiträge. Geregelt sind auch Dokumentat­ionspflich­ten und amtliche Kontrollen. Begleitend prüft das Verkehrsmi­nisterium gerade, wie ein THC-Grenzwert für Cannabis am Steuer gefasst werden könnte – ähnlich wie die 0,5-Promille-Grenze für Alkohol. Bis Ende März sollen Expertenvo­rschläge vorliegen.

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ADOBESTOCK Der Deutsche Bundestag beschließt die Cannabis-Legalisier­ung
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