Die Königin der Bienen
Antikorruptionsexperte Martin Kreutner über harte Grenzen und die vielfältigen Graubereiche der Schattenwirtschaft.
iese Woche rauschte sie wieder durch die Medien: „Queen B“, wie Beyoncé von ihrer Anhängerschaft nicht nur liebevoll, sondern auch mit respektvoller Bewunderung genannt wird – die Bienenkönigin. Ihre Fans nennen sich „Beyhive“– „Bienenstock“. Diesmal gelang der Bienenkönigin Beyoncé als erster Afroamerikanerin der Sprung an die Spitze der Country-Charts. Mit dem Song „Texas Hold ’Em“fügte die Künstlerin ihrem ohnehin stattlichen Werk (das mit „Survivor“und „Single Ladies“mindestens zwei ikonische Pophymnen umfasst) eine weitere Facette hinzu.
Dass schwarze Musikerinnen und Musiker Ansprüche an der weißesten Musik Amerikas, Country & Western, anmelden, ist nicht neu. Charley Pride hat die „Rassenschranke“vor 60 Jahren niedergerissen und wurde als Schwarzer zum Top-Countrystar. Tina Turner nahm 1974 ein Country-Album auf, und der kreative Umgang mit Bestehendem gehört zu den wesentlichen Übungen afroamerikanischer Musikkultur. Ray Charles verwandelte 1962 Country-Klassiker in Soul. Das Album gilt heute als eines der besten aller Zeiten. Und die ironische Hommage an die Countrykultur des schwulen Lil Nas X schielte vor wenigen Jahren schon auf Platz 1. Schwarze, die sich weiße Musik aneignen. Normalerweise ging es in die andere Richtung. Beim Blues, beim Jazz, beim R ’n’ B.
Dabei ist Beyoncé Texanerin, der zweite Song, „16 Carriages“, scheint autobiografisch. Beyoncé ist ein Genie, das sonst über untreue Männer und die Sklaverei, über Feminismus und Afrika singt. Jetzt ist sie auch ein Country-Star. Sie eignet sich nichts an, sie saugt es auf, um Neues zu schaffen. Im Video zu „Apeshit“, einem Duett mit ihrem Ehemann Jay-Z (dem zweiten Genie in der Familie), stand das Paar 2018 im leeren Louvre in Paris – eine Machtdemonstration. Aber auch ein Versuch, die Spuren afrikanischer Menschen in den Gemälden sichtbar zu machen und den Blick auf Kunstgeschichte und Kultur zu erweitern. Am Ende schaut Beyoncé der „Mona Lisa“ins Auge. Gleich und gleich gesellt sich gern.
D
Transparency International und die Weltbank veröffentlichen Korruptionsindizes. Daneben gibt es auch Standortrankings, in die das Thema Korruption einfließt. Aber lässt sich die überhaupt gut messen? MARTIN KREUTNER:
Es ist eine Annäherung. Als der Index zur Korruptionswahrnehmung 1995 erstmals herauskam, war das bahnbrechend. Manchmal wird zwar gefordert, nur Verurteilungen oder Verfahren heranzuziehen, doch Korruption ist ein Dunkelfelddelikt. Im Umkehrschluss wären jene Länder oben, die nichts gegen Korruption unternehmen. Es gibt aber auch Kritikpunkte am TransparencyIndex, etwa weil seine Grundlage nur der öffentliche Sektor ist, es Korruption aber auch im Privatsektor gibt. Das ist nicht mehr Stand der Forschung.
Ist die Wahrnehmung von Korruption auch relevant für Investitionsentscheidungen?
Definitiv. Natürlich gibt es auch in Krisenländern Krisengewinnler. Aber Standortsicherheit inkludiert auch Rechtssicherheit, und diese ist ein ganz zentrales Beurteilungskriterium bei Betriebsansiedlungen. Seit der OECD-Konvention gegen Korruption 1999 können auch korruptive Handlungen eigener Staatsbürger im Ausland verfolgt werden. In Österreich konnten früher Bestechungsgelder sogar von der Steuer abgesetzt werden, das war mit dieser Konvention Geschichte.
Korruption ist ein weiter Begriff. Da fallen autokratische Machthaber, die sich Abermillionen zur Seite räumen, ebenso hinein wie eine Pflegekraft, die ein nicht mehr geringfügiges Geschenk annimmt. Wie lässt sich das differenzieren?
Es gibt, aus dem Englischen abgeleitet, Großkorruption und
Alltagskorruption, Ad-hoc- oder strukturelle Korruption, auch passive und aktive Korruption – wer setzt den ersten Schritt? Und es gibt Korruption als soziologisches Phänomen. Zwischen Illegalität und Illegitimität besteht ein Unterschied. Nur Ersteres ist klar definiert, in der Regel im Strafrecht.
Ist die Illegitimität ein Kind ihrer Zeit? Das Patronagesystem der Parteien, als man Wohnung und Job über die Partei bekam, war nicht umstritten. Heute ist es verpönte Parteibuchwirtschaft.
Ja. Die Zugänge ändern sich, es ändert sich auch die Wahrnehmung und die Toleranz gegenüber diesen Mechanismen. Wenn Sie heute den Durchschnittsbürger fragen, gibt es für Derartiges relativ wenig Verständnis.
Sebastian Kurz ist erstinstanzlich verurteilt worden, im U-Ausschuss über seine Rolle bei der Einrichtung der ÖBAG falsch ausgesagt zu haben. Dabei wäre seine Einbindung legal gewesen. Wie bewerten Sie diese Causa?
Es handelt sich im inkriminierenden Faktum um die Besetzung von Aufsichtsräten. Juristisch ist für das Gericht nur marginal bedeutend, wie Kurz eingebunden war, sondern wie er dazu im U-Ausschuss ausgesagt hat. Laut erstinstanzlichem Urteil hat er dort trotz Wahrheitspflicht die Unwahrheit gesagt. Das ist strafbar. Das Funktionieren des Rechtsstaates ist ergo für eine vermeintliche „Staatsaffäre“nicht geeignet.
Ab wann wurde Parteibuchwirtschaft als potenziell korruptives Verhalten empfunden?
Es war ein kontinuierlicher Prozess. Wie vieles in der Soziologie sind diese Schritte evolutionär und nicht revolutionär gewesen. Es hat natürlich auch größere Skandale gegeben, die ihren Beitrag geleistet haben, wie der AKH-Skandal, Noricum, Lucona. Letztendlich ist Parteibuchwirtschaft nichts anderes als politischer Tribalismus. In anderen Ländern lehnen wir Tribalismus ab und betrachten ihn von oben herab. Bei uns ist es ParteiStammeswirtschaft. Da ist mehr Selbstreflexion gefordert.
Sie haben lange die internationale Antikorruptionsakademie in Laxenburg bei Wien geleitet. Lassen sich identische ethische Regeln auf alle Gesellschaften anwenden?
Sie werden überrascht sein, das aus meinem Mund zu hören:
Wenn Sie einen Steuerbescheid bekommen, können Sie sich darauf verlassen, dass er in der Regel passt. Das ist in vielen Ländern anders – auch in Europa. Zudem gibt es eine zunehmende Intoleranz gegenüber Korruption in der Bevölkerung. Der Antagonismus findet sich in den höchsten Entscheidungsebenen; dort, wo es Vernetzungen von Politik und wirtschaftlichen Entscheidungsträgern gibt, etwa vereinzelt auch mit der höchsten Beamtenebene, und wo es zu Handlungen kommt, in deren Genuss der Normalsterbliche nicht gelangt.
Der Gesetzgeber hat auf diese Auf- und Entdeckungen reagiert: Gibt es noch größere Hebel?
Zumindest drei gibt es. Erstens die Weisungsunabhängigkeit der Staatsanwaltschaften. Wenn Österreich heute einen EU-Aufnahmeantrag stellen würde, müsste die EU diesen ablehnen. Zweitens die Aktualisierung des Bundesarchivgesetzes. Es würde niemand infrage stellen, dass wichtige Akten in Papierform archiviert werden müssen, bei elektronischen Daten ist es aber offensichtlich gang und gäbe, dass gelöscht und Computer neu formatiert werden. Drittens die Informationsfreiheit, die sehr gute Ansätze hat, aber bei der man noch wird sehen müssen, dass es in der Praxis und von der Judikatur entsprechend umgesetzt wird.
Beim Bundesstaatsanwalt wollen die Grünen einen Dreiersenat, die ÖVP eine Person, die der parlamentarischen Kontrolle unterliegen soll.
Vor Letzterem warne ich. Denn wenn im Parlament einzelne Straffälle diskutiert werden, wäre das ein staatstheoretischer Rückfall ins Mittelalter. Schon Montesquieu war klar, dass die Justiz von den anderen Staatsgewalten zu trennen ist. Und der Gesetzgeber, die Legislative, ist innerhalb dieser Gewalten ohnehin der Primus inter Pares. Die Gewaltentrennung ist ein ganz zentraler Baustein unserer liberalen Demokratie. Und ein Sechs-Augen-Prinzip, so wie er in Senatsentscheidungen der Höchstgerichte oder der Europäischen Staatsanwaltschaft verankert ist, leuchtet auch jedem ein.
Und wer soll die neue bestellen?
Da gibt es mehrere Optionen. Ein Personalsenat aus der Justiz erstellt etwa einen Dreier- oder Fünfervorschlag. Die Justizministerin könnte eine Empfehlung abgeben und dann etwa das Parlament mit einer Zweidrittelmehrheit eingebunden werden.
Weisungsspitze
Aber wenn es keine Einigung gibt?
Wir hatten ja leider jüngst ein Negativbeispiel mit der jahrelangen Nichtbesetzung des Bundesverwaltungsgerichts. Wenn das künftig bei der Generalstaatsanwaltschaft passieren würde, steht die Justiz. Das kann es nicht sein. Sollte sich das Parlament in einer vorgegebenen Zeit, etwa binnen drei Monaten, nicht einigen, geht das Entscheidungsrecht auf den Bundespräsidenten über. Das ist nicht Raketenwissenschaft.