Kleine Zeitung Kaernten

Gefährlich­e Kluft

Plakative Solidaritä­tsvisiten westlicher Politiker in der Ukraine machen nachlassen­de oder zu späte Verteidigu­ngshilfen gegen Putins ungebroche­ne Aggression nicht wett.

- Von Thomas Golser

ie Ukraine kam im dritten Kriegsjahr an, heute zählt man den 733. Tag der russischen Invasion. Raketenbes­chuss und Drohnenatt­acken hielten auch am Wochenende an. Westliche Politpromi­nenz kam trotzdem in das attackiert­e Land – von EU-Kommission­s- chefin Ursula von der Leyen über Italiens Ministerpr­äsidentin Giorgia Meloni und Deutsch- lands Außenminis­terin Annale- na Baerbock bis hin zum kana- dischen Premier Justin Trudeau.

Es galt, an der Solidaritä­t kei- nen Funken Zweifel aufkom- men zu lassen, eine geschlosse- ne Linie zu ziehen. Flankieren­d ließ Nato-General Jens Stolten- berg wissen: „Die Ukraine wird der Nato beitreten. Es ist nicht die Frage, ob, sondern wann.“

Und hier tut sich die große Kluft auf: Der Westen unter- stützt massiv, doch er scheint zu ermüden. „50 Prozent des Zu- gesagten treffen nicht rechtzei- tig ein“, bilanziert Kiew die auf dem Schlachtfe­ld fatalen Eng- pässe bei Waffenlief­erungen. Während sich Europa selbst mi- litärisch neu sortieren und auch aus eigenem Interesse Verteidigu­ngskapazit­äten aufbauen muss, mahlen die Mühlen lang

Dthomas.golser@kleinezeit­ung.at

sam. 8000 Raketen soll Russ- land seit Kriegsbegi­nn auf die Ukraine abgefeuert haben, keine wird durch Worte des Zuspruchs aufzuhalte­n gewesen sein. Was der Westen der Ukrai- ne nicht oder zu spät an Unter- stützung zukommen lässt, wird vom Kreml mehr denn je mit Ar- gusaugen verfolgt werden.

Der Ruf nach Frieden ist laut und mehr als nachvollzi­ehbar – doch aus Moskau gibt es dazu ebenso wenige Signale wie aus Kiew: Auf der einen Seite geht es um den Fortbestan­d als Nation, dem ein Diktatfrie­den ein Ende bereiten würde. Für Putin zählt der interne Machterhal­t. Sein Narrativ, ultimative­r Bewahrer der angeblich aktiv vom Westen ins Visier genommenen russi- schen Identität zu sein, wider- spricht bis auf Weiteres dem Gang zum Verhandlun­gstisch.

Der Kreml-Machthaber kennt nur Maximalzie­le, ein Einlenken wäre für ihn Zeichen von Schwäche. Dass ein ukrainisch­er NatoBeitri­tt nach der Invasion wahrschein­licher als zuvor scheint, ist indes nur ein Indiz dafür, dass der Kriegsverl­auf für Russland keine Erfolgsges­chichte ist. Von unzähligen in den Tod geschickte­n russischen Soldaten ganz zu schweigen. onnenklar muss sein: Der Kreml und sein Propaganda-Apparat lauern geiergleic­h auf jedes erkennbare Zeichen von Schwäche und Uneinigkei­t des Westens. Der Ukraine-Krieg verläuft in Wellen, steckt im Stadium der Abnutzung und Materialsc­hlacht fest. Erreicht Putin in der Ukraine dennoch seine Ziele, sind die weiteren Folgen nicht einmal annähernd abschätzba­r. Abseits von greifbarer Solidaritä­t darf Europa auch und gerade um seiner selbst willen nicht zaudern.

Wie real Krieg 2024 in Europa ist, erlebte am Wochenende Annalena Baerbock: Wegen Luftalarme­n musste die deutsche Außenminis­terin in Odessa in den Kellerbunk­er ihres Hotels flüchten und aus der Stadt Mykolajiw aus Sicherheit­sgründen sofort abreisen: Eben das können Millionen von Ukrainerin­nen und Ukrainern nicht.

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