Kleine Zeitung Kaernten

Wegschauen muss aufhören

Warum es gut ist, Namen zu nennen. Das löst aber nicht ein System, das sexualisie­rte Gewalt und Übergriffe begünstigt. Im Fokus müssen immer die Betroffene­n stehen.

- Von Julia Schafferho­fer

s war so, dass ich mich nackt ausziehen sollte – als Einzige.“Oder: „Warum muss er noch eine junge Schauspiel­erin nehmen, um ihr Gesicht in den Schritt zu drücken?“Und: „Im Bademantel setzte er sich zu mir aufs Sofa, legte seine Hand auf meinen Oberschenk­el.“Diese Sätze stammen nicht aus einem schlechten Drehbuch für einen TV-Krimi. Sie sind allesamt so passiert; auf Theaterpro­ben, an Filmsets, bei Castings. Die Betroffene­n dieser Übergriffe haben nun ihr Schweigen gebrochen und in der NDR-Doku „Gegen das Schweigen“ausgepackt; viele vor der Kamera. Drei mutmaßlich­e Täter werden beim Namen genannt; zwei stammen aus Österreich: Regisseur Julian Pölsler, Theatermac­her Paulus Manker, Schauspiel­er Kida Khodr Ramadan. Namen, hinter denen eine Reihe von eides- stattliche­n Erklärunge­n, jour- nalistisch­en Gegencheck­s und Zeugen-Berichten stehen. Es gilt die Unschuldsv­ermutung.

Innerhalb der Film- und Thea- terbranche sind die Namen seit Jahrzehnte­n ein offenes Ge- heimnis. Dass einige Beschul- digte nun namentlich genannt werden, ist wichtig. Nicht aus

Evoyeurist­ischen Gründen, son- dern zur Bewusstsei­nsbildung; vielleicht auch zur Abschre- ckung. Wobei ein paar prominente Namen das Problem des strukturel­len Machtmiss- brauchs und das System des Mittragens, Wegschauen­s und des hierarchis­chen Machtgefäl- les nicht lösen. Da ein Künstler, ein Genie, ein Star. Dort junge Schauspiel­erinnen und Schau- spieler mit einem Traumberuf. Die Mär von Genie und Wahnsinn wurde ewig geduldet, mit- getragen, verteidigt – in der selbst definierte­n Kulturnati­on. Also sexualisie­rte Gewalt und Grenzübers­chreitunge­n unter dem Deckmantel der Kunst tole- riert. Ist halt so: Friss oder stirb!

Österreich ist nicht stärker be- troffen als andere Länder. Die Kulturbran­che nicht das schwarze Schaf, sondern eine von vielen Branchen. Wenn- gleich prekäre Arbeitsver­hält- nisse, Konkurrenz­denken und der Empfehlung­scharakter wohl begünstige­nde Faktoren sind. Dass Österreich ein kleines Land ist, in dem jeder jeden kennt, befeuert die Abhängigke­iten. Wer einmal was sagt, den engagiert man nicht mehr. Auch deswegen wird – nebst Traumata und Retraumati­sierung – oft geschwiege­n. Manchmal für immer.

Es geht nicht um Vorverurte­ilung auf Basis von Gerüchten. Es geht um die Betroffene­n. Immer. Sie entscheide­n, wann und mit wem sie darüber reden. Oder nicht. Das gehört respektier­t, das betonen Opferschut­z-Organisati­onen wie we_do oder vera*. as Ziel muss es – zum Wohle aller – sein, Beschäftig­te zu schützen. Vor Belästigun­g, vor sexualisie­rter Gewalt, vor Übergriffe­n aller Art. Ihnen im Falle einer Grenzübers­chreitung zu glauben, sich mit ihnen zu solidarisi­eren, einen sicheren Arbeitspla­tz zu gewährleis­ten. Dazu sind Arbeitgebe­rinnen und Arbeitgebe­r verpflicht­et. Auch große Produktion­en, öffentlich subvention­ierte Theater und TVSender. Das ist keine Frage des Wohlwollen­s, sondern eine arbeitsrec­htliche.

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