Weitsprung droht Verlust seiner DNA
Schnellere Bewerbe, größere Weiten: Kommt das Aus des Absprungbalkens?
ind Sie ein passionierter Sofa-Surfer und beim Zappen schon einmal bei einer Leichtathletik-Übertragung hängen geblieben? Wenn ja, haben Sie vielleicht auch einen Weitsprung-Bewerb mitverfolgt. Es ist schon faszinierend, wie weit ein Mensch ohne zusätzliche Hilfe hüpfen kann. Mike Powell flog mit seinen Beinen voraus in Tokio gleich 8,95 Meter, ehe er nach einer geschätzten Ewigkeit wieder in der Sandkiste aufsetzte. Das war 1991 und ist bis heute eine unerreichte Bestmarke. Mit ausschlaggebend war, dass der Amerikaner den Absprungbalken punktgenau traf und somit keinen Zentimeter herschenkte. Dieses 1,22 Meter lange und 0,34 Meter breite, weiße Brett stand in den vergangenen Jahrzehnten schon bei vielen Dramen im Mittelpunkt. Vermeintliche Siegesträume platzten im letzten Moment, weil der Sprungrichter die rote Fahne hob und den Versuch wegen Übertretens für ungültig erklärte. Ein schmaler Zentimeter-Grat zwischen Hoffen und Bangen, der zum Weitsprung seit jeher dazugehört und der Sportart zusätzlichen Pfeffer verleiht.
Geht es nach dem Leichtathletik-Dachverband World Athletics, könnte mit diesem „Krimi“nun aber Schluss sein. So gibt es Pläne, das Absprungbrett durch eine Absprungzone zu ersetzen. Damit würde die Weite nicht mehr ab dem Balken, sondern exakt von dem Punkt, an dem der Athlet abgesprungen ist, gemessen werden.
SHintergrund der angedachten Leichtathletik-Revolution: Bei der letzten WM in Budapest waren ein Drittel aller Sprünge ungültig – laut World-Athletics-Geschäftsführer Jon Ridgeon „reine Zeitverschwendung“. Zudem würden die Sportler bei einem schlechten Treffpunkt des Balkens zu viel Weite herschenken. Dank einer Absprungzone könnte der Sport hingegen in neuen Rekordsphären landen.
Die Idee, dem Weitsprung einen Teil seiner DNA zu klauen, stößt freilich nicht überall auf Begeisterung. Kein Wunder, füttern doch gerade Situationen, in denen ein Athlet nach zwei ungültigen Versuchen unbedingt den Balken treffen muss, um nicht mit einem „Nuller“auszuscheiden, die Spannung. Daher kann auch Weitsprung-Legende Carl Lewis diesen Plänen nichts abgewinnen, würde man damit doch die schwierigste Anforderung der Disziplin entfernen. Der heute 62-Jährige bedient sich bei seiner Argumentation sogar beim Basketball. „Dort könnte man die Körbe beim Freiwurf auch vergrößern, damit es nicht mehr so viele Fehlwürfe gibt.“Aktuell liefern sich Befürworter und Gegner in diversen Foren hitzige Debatten. Blickt man auf die Historie des Sports, sitzen Traditionen jedoch immer öfter am kürzeren Ast. Und geht es nach dem Sport-Motto „Schneller, höher, weiter“, ist die Gier nach noch weiteren Sprüngen und neuen Weltrekorden nicht aufzuhalten.