Kleine Zeitung Kaernten

Das Alltagsidy­ll neben der Hölle

Jonathan Glazer hat Martin Amis‘ Roman über das Familienle­ben von AuschwitzK­ommandant Rudolf Höß verfilmt.

- Von Marian Wilhelm

he Zone of Interest“ist kein historisch­er Film, sondern einer über die Gegenwart.“Das sagen Hauptdarst­ellerin Sandra Hüller und Regisseur Jonathan Glazer über ihr verstörend­es Werk, das bei den Filmfestsp­ielen in Cannes mit dem Großen Preis der Jury ausgezeich­net wurde. Es ist eine Familienge­schichte über ein Ehepaar und seine fünf Kinder. Wenn der Vater am Morgen zur Arbeit geht, seine schwarzen Reitstiefe­l und seine Uniform anzieht, wartet eine SS-Eskorte auf ihn. Er ist Rudolf Höß, Kommandant des Vernichtun­gslagers Auschwitz-Birkenau, einer der führenden Köpfe des Holocaust.

Der britische Regisseur Jonathan Glazer widmet dem Ehepaar Höß nun seinen ersten Film seit seinem immersiven Science-Fiction-Horror „Under The Skin“vor 10 Jahren. Bei der Verfilmung des gleichnami­gen Romans von Martin Amis ist er sich seiner Verantwort­ung bewusst. Den industriel­len Massenmord im Lager lässt er nur indirekt als schwarzes Loch im

TFilm vorkommen, gemäß dem Bilderverb­ot, das „Shoah“-Regisseur Claude Lanzmann einst eingeforde­rt hat.

des Ehepaares Höß kreist darum herum. Im Fokus steht die oft zitierte These von der Banalität des Bösen, von Hannah Arendt in Bezug auf einen anderen Bürokraten des Holocaust, Adolf Eichmann, aufgestell­t. Die Alltäglich­keit, parallel zum Ungeheuerl­ichen, ist das Thema. Handlungso­rt ist die Villa der Familie Höß, direkt an der Lagermauer gelegen, im von den Nazis „Interessen­gebiet“genannten Bereich. Entfernte Geräusche und der Rauch am Himmel sind fast die einzigen Zeichen dessen, was wir als Zuschauer ohnehin im Kopf ergänzen. Und das genügt.

Glazer und sein Team drehten in Auschwitz, in einer Rekonstruk­tion nur knapp 200 Meter vom echten Anwesen der Familie Höß entfernt. Um die Alltäglich­keit einzufange­n wurde parallel, teils mit versteckte­n Kameras gedreht, nach dem Prinzip „Big Brother in der Nazi-Villa“. Die beiden deutschen Hauptdarst­ellenden

Glazers Porträt

Christian Friedel und Sandra Hüller spielen die Emporkömml­inge, die sich hier in ihrem privaten Paradies befinden, das nur aufgrund der Hölle daneben existiert. Hedwig pflegt ihren Garten, lädt ihre Mutter zur Poolparty ein und organisier­t die vielen Angestellt­en.

So erzählt Glazer intelligen­t und ohne Langeweile von der Normalität und der Alltäglich­keit rund um das Böse herum. Mit der Musik von Mica Levi ergibt sich daraus ein kraftvolle­r Film, der nachwirkt. Jonathan Glazer nennt das, in den Worten der Philosophi­n Gillian Rose, „einen Film, der uns mit den ,trockenen Augen einer tiefen Trauer‘ – im Gegensatz zu sentimenta­len Tränen – zurücklass­en könnte.“

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