„Wir sind eng mit der Nato
ÖVP-Spitzenkandidat Reinhold Lopatka über Österreichs Nato-Verankerung, einen sofortigen Ausstieg aus dem Kreml-Gas und die FPÖ.
Frankreichs Präsident hat westliche Truppen in der Ukraine nicht ausgeschlossen. Die Nato hat das dementiert, aber die Option liegt auf dem Tisch. Was sagen Sie dazu? REINHOLD LOPATKA:
Das ist eine Entscheidung der Nato. Wir sind ein neutraler Staat. Aber eine solche Entscheidung würde den Krieg auf eine neue, hochgefährliche Ebene heben. Angesichts der vielen Toten auf beiden Seiten brächte das eine falsche Entwicklung. Andererseits gibt es aufseiten Russlands keine ernsthafte Verhandlungsbereitschaft. Ich fürchte, dass sich erst nach den US-Wahlen die Nebel lichten werden.
Es war Konsens, dass die Ukraine selbst bestimmt, wann sie zu Verhandlungen bereit ist. Nun preschte Bundeskanzler Nehammer vor. Fällt er der Ukraine in den Rücken?
Nein. Erstens war und ist Österreich bei allen Beschlüssen der EU solidarisch; zweitens leisten wir erhebliche humanitäre Hilfe; drittens sind wir neutral. Deshalb zählt es zu unseren Aufgaben, den Tag, an dem Verhandlungen kommen, nicht ganz aus den Augen zu verlieren. In Wirklichkeit sind wir auch Zeugen der Ratlosigkeit des Westens.
Nicht eher Hilflosigkeit?
Von Hilflosigkeit würde ich nicht sprechen. Wir, also die EU wie auch Österreich, haben es über Jahrzehnte verabsäumt, die nötigen Mittel für Sicherheit und Verteidigung bereitzustellen. Immerhin hat aber schon die erste Präsidentschaft Donald Trumps zu einem Weckruf für die Europäer geführt, der durch den Überfall Russlands auf die Ukraine noch einmal verstärkt wurde. Zudem sind mittlerweile 23 von 27 EU-Staaten Mitglied der Nato. Die EU hat im Jänner 2023 ihre Zusammenarbeit mit der Nato bekräftigt und sie damit als Grundlage der kollektiven Verteidigung und die damit einhergehende Verpflichtung der Europäer zur entsprechenden Mitwirkung festgeschrieben.
Und Österreich?
Wir sind seit 1995 durch die „Partnerschaft für den Frieden“eng mit der Nato verbunden. Wir hatten bisher mehr als 20.000 österreichische Soldaten bei Nato-Einsätzen – und das unter Verteidigungsministern aus den Reihen von SPÖ, FPÖ und ÖVP; wir hatten mit KFOR im Kosovo sogar eine Nato-Mission unter österreichischem Kommando. Es soll also niemand so tun, als ob wir mit der Nato nichts zu tun hätten.
Die Schutzwirkung unserer Neutralität hängt daran, ob andere diese für glaubwürdig halten.
Nicht nur, aber auch. Österreichs Neutralität war historisch notwendig, um 1955 wieder unsere volle Souveränität zu gewinnen. Die große Änderung erfolgte durch den EU-Beitritt: Seitdem gilt auch für uns die im EU-Vertrag
festgeschriebene gegenseitige Beistandspflicht im Falle eines bewaffneten Angriffs auf einen Mitgliedstaat.
Sie plädieren für die EU als politische Union ...
Wir sind mit dem Vertrag von Maastricht seit 1993 eine politische Union.
Ja, nur ist diese immer noch im Entstehen. Was soll sich ändern: Stärkung von EU-Parlament und Kommission, Abschaffung des nationalen Vetos?
Es ist erstaunlich, was Europa bis zum Vertrag von Lissabon 2008 erreicht hat. Seitdem hat die EU nicht mehr aus dem Krisenmodus herausgefunden. Der Tiefpunkt war der Austritt Großbritanniens. Wir müssen Europa voranbringen, dürfen aber nicht zu schnell vorgehen, um niemanden zu verlieren. Deshalb wäre es wichtig, Nicht-EUStaaten wie Norwegen, Schweiz,
Liechtenstein, den Westbalkan, aber auch Großbritannien näher an die Union heranzuführen. Dazu zähle ich auch die Ukraine, Georgien, Moldau und Bosnien, mit denen Beitrittsgespräche eröffnet wurden, obwohl deren Beitritt noch weit weg ist. Es fehlen heute die großen Persönlichkeiten, die die EU voranbringen könnten. Das gilt für die einstige deutsch-französische Lokomotive wie auch für die Spitze der EU-Kommission.
Der Druck, Moskaus Gaslieferungen zu beenden, steigt. Soll Österreich, koste es, was es wolle, aus dem Vertrag aussteigen?
Ich gehe davon aus, dass die zuständige Energieministerin Gewessler macht, was rechtlich möglich ist. Wenn der Krieg weitergeht, wird die Ukraine den Durchleitungsvertrag beenden. Mein Wissensstand ist, dass ein einseitiger Vertragsausstieg unmöglich ist, aber auch ich
kenne die Verträge nicht. Ein Milliarden-Euro-Risiko für die Republik und die Steuerzahler einzugehen, finde ich nicht vertretbar.
Können Sie nachvollziehen, dass man den ÖVP-Beteuerungen, nicht mit FPÖ-Chef Herbert Kickl zu koalieren, misstraut?
In meinen Augen ist die KicklFPÖ eine andere FPÖ, als sie früher war ...
Das galt ebenso für die FPÖ Jörg Haiders und jene von Heinz-Christian Strache.
Nein, diese Radikalisierung und die bewusste Annäherung an die rechtsextreme Szene ist neu. Die gemeinsame Fraktion der FPÖ im EU-Parlament mit Marine Le Pen, deren Partei nachweislich von Wladimir Putin finanziert wurde, und der AfD, gegen die zahlreiche Rechtsextremismusverfahren laufen, belegen das. Und dann ist da noch der FPÖ-Kooperationsvertrag mit der Partei Putins.
Im Jahre 2000 wurden Bedenken mit einer Präambel im Koalitionsvertrag weggeräumt.
Die jetzigen Vorwürfe lassen sich nicht per Präambel auflösen, schon gar nicht der Umgang der FPÖ mit dem politischen Gegner, Stichwort „Fahndungslisten“. Es beginnt mit der Sprache und endet bei Gewalt, wobei ich nicht sage, dass von der FPÖ selbst Gewalt ausgeht, aber es gibt immer Wirrköpfe. Das passiert Kickl nicht einfach, das ist strategisch überlegt, und darin unterscheidet er sich grundlegend von seinen Vorgängern – auch indem er mit einem EUAustritt liebäugelt. Österreich braucht die EU als politische Union.
Ex-ÖVP-Chef Sebastian Kurz fürchtet sich nicht vor einem Kanzler Kickl, da dies zur Demokratie gehöre.
Das sehe ich anders. Selbst wenn Kickl das Vertrauen im Parlament bekäme, was ich ausschließe, wäre da noch der Bundespräsident. Kurz hat hier eine theoretische Situation kommentiert, die ich ausschließe.
Man sollte nie zu vieles in der Politik ausschließen.
Das ist schon richtig. Mein Punkt ist: Ich habe kein Problem, mit der FPÖ zusammenzuarbeiten, aber Kickl verunmöglicht es mit seiner Politik, dass man mit der FPÖ zusammenarbeiten kann.