Kleine Zeitung Kaernten

Lieber einmal zu oft handeln

Der Strafproze­ss um den „Buben in der Hundebox“ist vorbei. Jetzt müssen wir schleunigs­t das System Kinderschu­tz in Österreich überarbeit­en.

- Von Anna Stockhamme­r

r wurde geschlagen, gefesselt, geknebelt. Er, der damals 12-jährige Bub aus dem Waldvierte­l, den seine Mutter über Monate gequält hat. Dass sie ihn immer wieder stundenlan­g in eine Hundebox sperrte, ist das Detail am Rande, das in der Öffentlich­keit besonders hängen geblieben ist.

Gestern wurde die Mutter (33) des Burschen zu 20 Jahren Haft verurteilt, ihre Komplizin (40) zu 14 Jahren. Beide Frauen wer- den in einem forensisch-thera- peutischen Zentrum unterge- bracht. Die Entscheidu­ngen sind nicht rechtskräf­tig.

Fall erledigt? Nein, so einfach ist es nicht. Wenn sich die Türen des Verhandlun­gssaals am Straflande­sgericht Krems schließen, sollten die Türen der Behörden weit offen stehen. Da- mit die drängenden Fragen be- antwortet werden können: Wie konnte es so weit kommen? Wer hat weggesehen? Wieso hat nie- mand zugehört, selbst dann, als das Kind um Hilfe bat? Wie kann es sein, dass eine Lehrerin, die Alarm schlägt, nicht ernst ge- nommen wird? Wie konnten Hausbesuch­e von Sozialarbe­i- tern keine Konsequenz­en nach sich ziehen – obwohl schon die

EUnterernä­hrung und die vor Käl- te blauen Hände des Buben sichtbar waren?

Es ist ein Versagen auf zu vielen Ebenen. Und doch ist ein willkürlic­hes Behörden-Ba- shing fehl am Platz. Die Kinder- und Jugendhilf­e ist nicht mehr so rigide, wie sie einmal war. Sie nimmt Eltern nicht mehr „ein- fach so“die Kinder weg. Das ist gut so. Denn Eltern sind immer noch die Experten für ihre Kinder. Aber auch Experten liegen falsch, verhalten sich nicht rich- tig, tun ihren Kindern weh. Da muss der Kinderschu­tz greifen.

Tut er aber nicht. In Österreich ist Kinderschu­tz gut für Akti- onstage oder Wahlkampag­nen. Kinder sind ein guter Aufputz. Diese unmündigen Wesen, über die wir dauernd reden, mit de- nen aber nie gesprochen wird. 1,7 Millionen Kinder und Jugendli- che in Österreich: Sie sind eine gesichtslo­se, namenlose Ver- schubmasse, für die wir uns nicht wirklich interessie­ren.

Das muss sich ändern. Das System Kinderschu­tz in Österreich gehört allerspäte­stens jetzt mit einem eindringli­chen Röntgenbli­ck durchleuch­tet. Im Fall des Buben betonte man bei der Kinder- und Jugendhilf­e im Vorjahr, dass „alle Vorgaben eingehalte­n wurden“. Wie bitte? Dann braucht es neue Vorgaben!

Dass eine sechsköpfi­ge, unabhängig­e Expertengr­uppe des Landes seit August 2023 im Einsatz ist und erst nächste Woche einen Abschlussb­ericht vorlegen kann, ist ebenso bezeichnen­d. Wie dringend ist es uns, Kinder zu schützen? ie Politik muss ihrer Verantwort­ung nachkommen, die Finanzieru­ng, die Personalsi­tuation, die schnellen Maßnahmen und die lückenlose Zusammenar­beit im Kinderschu­tz zu sichern sowie die Stellen genau zu kontrollie­ren. Und wir als Gesellscha­ft, wir müssen hinschauen. Uns fragen, wie wir Kinder behandeln, wie wir über sie und mit ihnen reden und wie wir letztendli­ch dafür sorgen, dass sie den Schutz bekommen, den sie benötigen. Lieber einmal zu oft handeln, als einmal zu wenig.

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