Soll der Eurovision Song Contest politisch sein?
Den Song Contest unpolitisch machen zu wollen, würde bedeuten, seinen Charakter zu verkennen.
s ist natürlich banal zu sagen, dass Kunst politisch ist. Es besteht ja überhaupt kein Zweifel daran, dass Kunst immer eine politische Dimension hat. Und wenn Kunst behauptet, unpolitisch zu sein, dann ist gerade dieses Statement sehr politisch.
Der Eurovision Song Contest ist Unterhaltung. Aber Unterhaltung, die aus künstlerischen Ausdrucksformen besteht. Aus Songwriting, Musik, Gesang, Tanz. Der Bewerb ist so politisch wie sonst keine Fernsehunterhaltung. Wenn langhaarige Schönheiten osteuropäischen Techno vorführen, wenn metrosexuelle Softies Balladen säuseln, genderfluide und/oder Transpersonen eine Show abziehen: Das alles ist politisch lesbar. Die gesellschaftlichen Wertvorstellungen und Ideale, die diese einzelnen Beiträge hervorbringen, zeugen von einem vielfältigen, heterogenen Europa. Letztlich ist die Auswahl der Lieder oftmals ein Prozess von nationaler Wichtigkeit und wird heftig debattiert: auch das ist oft eine Diskussion über Politisches über den Umweg der Kunst. Die Stereotypen und die Regelbrüche, die Geschlechterklischees und deren provokante Unterwanderung. Das alles trifft aufeinander und erzeugt Reibungshitze. So soll es sein.
EManchmal wird es dann eindeutig politisch: Als Conchita Wurst weiland dem regenbogenbunten Publikum vor den Schirmen ein „we are unstoppable“– „keiner kann uns aufhalten“– entgegenrief, war das nicht nur ein Moment von fast schon peinlichem Pathos, sondern auch eine schöne Demonstration dafür, wie diese Show zur Plattform von Wertvorstellungen geworden ist. Dass sie in Ländern mit restriktiver Gesetzgebung zum subkulturellen Phänomen werden konnte, ja musste, zeigt ihren politischen Charakter.
Und selbst wenn die einzelnen Teilnehmer und ihre Unterstützer weltanschaulich Welten trennen: In einer Show werden sie eins, werden bei aller Unterschiedlichkeit Teil von etwas Größerem. Der ESC ist weder dazu da, die Welt zu retten, noch besonders große Kunst zu bieten, er ist vor allem dazu da, zu zeigen, dass wir miteinander können, wenn wir wollen.
Ressortleiter Kultur & Medien
Dass die Künstlerinnen und Künstler diese Konstruktion gefährden, indem sie einfach zu kontroversielle Themen aufgreifen, mag nicht unbedingt klug sein, aber verbieten soll man es nicht. Dann soll halt gebuht oder sollen null Punkte vergeben werden. Der Bewerb muss, so weit das möglich ist, ohne Zensur auskommen und nur die Grenzen der Kunstfreiheit gelten lassen. Dass einem Teilnehmer das Wort „shit“verboten wurde, zeigt ohnehin, dass es mit der Kunstfreiheit nicht mehr weit her ist.
So zu tun, als könnte man den Bewerb entpolitisieren, ist kindisch. Das Politische macht den ESC aus, und es ist, Hand aufs Herz, auch mit Abstand das Interessanteste daran.