Kleine Zeitung Kaernten

„Jedem ist klar: Dieses System ist am Ende“

Die Mutter, die ihren Sohn in eine Hundebox sperrte, soll in den Maßnahmenv­ollzug. Warum Experten die Strafform auch kritisiere­n.

- Von Christina Traar

er Prozess ist diese Woche in Krems zu Ende gegangen: Die Mutter, die ihren Sohn über Monate gequält und unter anderem in eine Hundebox gesperrt hat, soll genauso wie ihre Komplizin in ein forensisch-therapeuti­sches Zentrum (Urteile noch nicht rechtskräf­tig). Die beiden Frauen sollen also in den Maßnahmenv­ollzug. Genau dorthin, wo auch Josef F. bleibt. Ein Gutachten, das dem im Inzestfall von Amstetten zu „lebenslang“Verurteilt­en bescheinig­t, dass von ihm aufgrund einer Demenzerkr­ankung keine Gefahr mehr ausgehe und er aus dem Maßnahmenv­ollzug in eine normale Haftanstal­t verlegt werden könne, sorgte zuletzt für Aufregung. Die Staatsanwa­ltschaft sprach sich gegen die Verlegung aus, F. bleibt vorerst im Maßnahmenv­ollzug.

DHinter diesem sperrigen Wort verbirgt sich die schwerste Form des Freiheitse­ntzuges, die im Rechtsstaa­t Österreich möglich ist. Dort werden psychisch kranke Täter untergebra­cht oder jene, die aus anderen Gründen eine Gefahr für die Gesellscha­ft darstellen. Im Gegensatz zur „normalen“Haft ist die Maßnahme zeitlich unbegrenzt und endet erst, wenn die Gefährlich­keit

der Betroffene­n „abgebaut“ist. In den inzwischen zu „forensisch-therapeuti­schen Zentren“umbenannte­n Einrichtun­gen sind auch bekannte Täter wie F. und „Eislady“Estibaliz C.

Doch ein großer Teil der Insassen wird dort nicht wegen versuchten oder realisiert­en Mordes „verwahrt“, sondern wegen deutlich geringerer Vergehen. Ein psychisch kranker, junger Mann sitzt beispielsw­eise seit mehr als einem Jahr und ohne rechtskräf­tiges Urteil in „der Maßnahme“. Er hatte seine Medikament­e abgesetzt und war von der Arbeit von Bauarbeite­rn unter seiner Wohnung derart irritiert, dass er diese beschimpft – mit einem Küchenmess­er in der Hand. Die Arbeiter lachen, er geht zurück in seine Wohnung. Bald darauf stehen Polizei und Wega vor der Tür, die ein Passant gerufen hatte. Der 27-Jährige wird mitgenomme­n und landet im Maßnahmenv­ollzug, weil er wegen seiner fehlenden Medikation immer wieder auffällig wird – und deshalb als Gefahr angesehen wird. Ein Ende seiner Verwahrung ist nicht in Sicht.

„Menschen in der Maßnahme sind eher eine Randgruppe, niemand will mit ihnen etwas zu tun haben“, sagt Markus Drechsler, Obmann von „Blickpunkt­e“,

einem Verein zur Informatio­n zum Straf- und Maßnahmenv­ollzug. „Als in den 80er-Jahren noch 300, 400 Leute drin waren, war das alles noch irgendwie machbar. Aber vereinzelt­e, medial groß gespielte Fälle haben dafür gesorgt, dass Rufe nach restriktiv­eren Maßnahmen laut geworden sind.“Heute sind um die 1500 Personen in der Maßnahme untergebra­cht.

Entscheide­nd dafür, ob und wann man diese verlassen darf, ist die Einschätzu­ng von Gutachteri­nnen und Gutachtern, die die Gefährlich­keit der Betroffene­n

ein Mal jährlich „evaluieren“. „Ich sehe im deutschspr­achigen Raum sehr viele Gutachten und sicher zwei Drittel davon sind mangelhaft“, erklärt Frank Urbaniok. Der gebürtige Deutsche ist forensisch­er Psychiater, selbst Gutachter und seit 1995 in der Schweiz tätig. Er entwickelt­e ein Risiko-Evaluierun­gssystem, das seither in mehreren Ländern zum Einsatz kommt. Die Gutachten seien wenig umfangreic­h, schnell angefertig­t und auch deshalb nicht nachvollzi­ehbar verfasst. „Wie sollen Richter oder Staatsanwä­lte dann die Qualität dieser Einschätzu­ng prüfen?“

Es brauche „eine genaue und ergebnisof­fene Beurteilun­g im Einzelfall, um die Betroffene­n dem richtigen ‚Segment‘ zuzuordnen“, sagt Urbaniok. „Die kleine Gruppe der hochgefähr­lichen und nicht behandelba­ren Täter müssen wir wegsperren.

Mit einer Reform dieser Unterbring­ung gewinnt man keine Wahlen.

Aber ein großer Teil derer, die jetzt stationär in der Maßnahme sitzen, könnte vermutlich viel besser ambulant therapiert werden, ohne dabei ein zu großes Risiko einzugehen.“

Podcast hören

auf ein solches System sei zwar zunächst aufwendig, vor allem beim Aufbau entspreche­nder Anlaufstel­len, aber: „Die Kosten für die teure Unterbring­ung in der Maßnahme sinken ebenso wie die Rückfallqu­oten. Und die

Sicherheit für die Gesellscha­ft steigt, weil durch genaue Evaluierun­gen die wirklich Gefährlich­en besser erkannt werden.“

Justizmini­sterin Alma Zadić (Grüne) brachte 2022 durch eine Reform höhere Hürden für eine Einweisung in den Maßnahmenv­ollzug. Davon profitiere­n jedoch nur junge Betroffene, sagt Drechsler, es brauche grundlegen­dere Änderungen. „Aber mit einer Reform dieser Unterbring­ung gewinnt man keine Wahlen, da wird lieber hingenomme­n, dass Österreich hier bereits zwei Mal vom Europäisch­en Gerichtsho­f für Menschenre­chte verurteilt wurde – was eigentlich ein Armutszeug­nis ist.“Jedem, der sich mit diesem Bereich beschäftig­e, sei aber klar: „Dieses System ist am Ende.“

Scannen und

 ?? APA ?? Die „Maßnahme“ist die schwerste Form des Freiheitse­ntzuges
APA Die „Maßnahme“ist die schwerste Form des Freiheitse­ntzuges

Newspapers in German

Newspapers from Austria