„Jedem ist klar: Dieses System ist am Ende“
Die Mutter, die ihren Sohn in eine Hundebox sperrte, soll in den Maßnahmenvollzug. Warum Experten die Strafform auch kritisieren.
er Prozess ist diese Woche in Krems zu Ende gegangen: Die Mutter, die ihren Sohn über Monate gequält und unter anderem in eine Hundebox gesperrt hat, soll genauso wie ihre Komplizin in ein forensisch-therapeutisches Zentrum (Urteile noch nicht rechtskräftig). Die beiden Frauen sollen also in den Maßnahmenvollzug. Genau dorthin, wo auch Josef F. bleibt. Ein Gutachten, das dem im Inzestfall von Amstetten zu „lebenslang“Verurteilten bescheinigt, dass von ihm aufgrund einer Demenzerkrankung keine Gefahr mehr ausgehe und er aus dem Maßnahmenvollzug in eine normale Haftanstalt verlegt werden könne, sorgte zuletzt für Aufregung. Die Staatsanwaltschaft sprach sich gegen die Verlegung aus, F. bleibt vorerst im Maßnahmenvollzug.
DHinter diesem sperrigen Wort verbirgt sich die schwerste Form des Freiheitsentzuges, die im Rechtsstaat Österreich möglich ist. Dort werden psychisch kranke Täter untergebracht oder jene, die aus anderen Gründen eine Gefahr für die Gesellschaft darstellen. Im Gegensatz zur „normalen“Haft ist die Maßnahme zeitlich unbegrenzt und endet erst, wenn die Gefährlichkeit
der Betroffenen „abgebaut“ist. In den inzwischen zu „forensisch-therapeutischen Zentren“umbenannten Einrichtungen sind auch bekannte Täter wie F. und „Eislady“Estibaliz C.
Doch ein großer Teil der Insassen wird dort nicht wegen versuchten oder realisierten Mordes „verwahrt“, sondern wegen deutlich geringerer Vergehen. Ein psychisch kranker, junger Mann sitzt beispielsweise seit mehr als einem Jahr und ohne rechtskräftiges Urteil in „der Maßnahme“. Er hatte seine Medikamente abgesetzt und war von der Arbeit von Bauarbeitern unter seiner Wohnung derart irritiert, dass er diese beschimpft – mit einem Küchenmesser in der Hand. Die Arbeiter lachen, er geht zurück in seine Wohnung. Bald darauf stehen Polizei und Wega vor der Tür, die ein Passant gerufen hatte. Der 27-Jährige wird mitgenommen und landet im Maßnahmenvollzug, weil er wegen seiner fehlenden Medikation immer wieder auffällig wird – und deshalb als Gefahr angesehen wird. Ein Ende seiner Verwahrung ist nicht in Sicht.
„Menschen in der Maßnahme sind eher eine Randgruppe, niemand will mit ihnen etwas zu tun haben“, sagt Markus Drechsler, Obmann von „Blickpunkte“,
einem Verein zur Information zum Straf- und Maßnahmenvollzug. „Als in den 80er-Jahren noch 300, 400 Leute drin waren, war das alles noch irgendwie machbar. Aber vereinzelte, medial groß gespielte Fälle haben dafür gesorgt, dass Rufe nach restriktiveren Maßnahmen laut geworden sind.“Heute sind um die 1500 Personen in der Maßnahme untergebracht.
Entscheidend dafür, ob und wann man diese verlassen darf, ist die Einschätzung von Gutachterinnen und Gutachtern, die die Gefährlichkeit der Betroffenen
ein Mal jährlich „evaluieren“. „Ich sehe im deutschsprachigen Raum sehr viele Gutachten und sicher zwei Drittel davon sind mangelhaft“, erklärt Frank Urbaniok. Der gebürtige Deutsche ist forensischer Psychiater, selbst Gutachter und seit 1995 in der Schweiz tätig. Er entwickelte ein Risiko-Evaluierungssystem, das seither in mehreren Ländern zum Einsatz kommt. Die Gutachten seien wenig umfangreich, schnell angefertigt und auch deshalb nicht nachvollziehbar verfasst. „Wie sollen Richter oder Staatsanwälte dann die Qualität dieser Einschätzung prüfen?“
Es brauche „eine genaue und ergebnisoffene Beurteilung im Einzelfall, um die Betroffenen dem richtigen ‚Segment‘ zuzuordnen“, sagt Urbaniok. „Die kleine Gruppe der hochgefährlichen und nicht behandelbaren Täter müssen wir wegsperren.
Mit einer Reform dieser Unterbringung gewinnt man keine Wahlen.
Aber ein großer Teil derer, die jetzt stationär in der Maßnahme sitzen, könnte vermutlich viel besser ambulant therapiert werden, ohne dabei ein zu großes Risiko einzugehen.“
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auf ein solches System sei zwar zunächst aufwendig, vor allem beim Aufbau entsprechender Anlaufstellen, aber: „Die Kosten für die teure Unterbringung in der Maßnahme sinken ebenso wie die Rückfallquoten. Und die
Sicherheit für die Gesellschaft steigt, weil durch genaue Evaluierungen die wirklich Gefährlichen besser erkannt werden.“
Justizministerin Alma Zadić (Grüne) brachte 2022 durch eine Reform höhere Hürden für eine Einweisung in den Maßnahmenvollzug. Davon profitieren jedoch nur junge Betroffene, sagt Drechsler, es brauche grundlegendere Änderungen. „Aber mit einer Reform dieser Unterbringung gewinnt man keine Wahlen, da wird lieber hingenommen, dass Österreich hier bereits zwei Mal vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte verurteilt wurde – was eigentlich ein Armutszeugnis ist.“Jedem, der sich mit diesem Bereich beschäftige, sei aber klar: „Dieses System ist am Ende.“
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