Kleine Zeitung Kaernten

Der Zweite siegt, wenn er den Ersten ignoriert

-

ollte Karl Nehammer geglaubt haben, seine Rede in der Welser Messehalle werde sich ins Gedächtnis der Österreich­er einprägen, dann hat er sich getäuscht. In Erinnerung bleiben rhetorisch­e Ausrutsche­r wie beim Parteitag in Tirol, wonach es wegen der Inflation letztlich nur die Wahl zwischen Alkohol und Psychophar­maka gäbe. Oder die in einer Salzburger Vinothek geäußerte Empfehlung, ein Hamburger von McDonald‘s sei die billigste warme Mahlzeit.

Ein strategisc­hes Ziel hat der ÖVP-Chef dennoch erreicht: Die häppchenwe­ise Freigabe des Redetextes hat mit der Heerschau zu Wels das Wahljahr eröffnet. Die gezielt gestreuten Gerüchte, dass die Nationalra­tswahlen vorverlegt und gemeinsam mit den Europawahl­en stattfinde­n könnten, fachte die Spekulatio­nen an, ob die Machtübern­ahme durch einen Volkskanzl­er Herbert Kickl noch zu verhindern sei.

Nun scheint fix, dass erst Ende September der neue Nationalra­t gewählt wird. Und als fast ebenso sicher gilt, dass die FPÖ die stärkste Partei werden dürfte, so wie es die Meinungsum­fragen seit vielen Monaten verkünden. Die entscheide­nde Frage ist nun paradoxerw­eise nicht, wer bei den Wahlen Erster, sondern wer Zweiter wird.

Mit Kickl werde es nie und nimmer eine Koalition geben, schwören feierlich alle TürkisSchw­arzen vom Bundeskanz­ler abwärts bis zum Hinterbänk­ler im Parlaments­klub. Da auch nicht anzunehmen ist, dass die FPÖ im Fall des Falles auf Kickl verzichten würde, kann Nehammer die blaue Variante ignorieren und muss sich das Ziel setzen, Platz 2 zu erringen. Dann hat er beim Koalitions­poker die Karten in der Hand. er SPÖ unter Andreas Babler bliebe nichts anderes übrig, als den Traum vom Wiedereinz­ug ins Kanzleramt zu vergessen und sich mit der kleineren Rolle in einem Bündnis abzufinden, das man einst große Koalition nannte. Und wenn beide zusammen nicht über eine Mehrheit verfügen, müssen eben die Neos oder die Grünen als Dritte her. Das Sagen hätte aber die Nummer 2.

S„Da nicht anzunehmen ist, dass die FPÖ auf Kickl verzichten würde, kann Nehammer die blaue Variante ignorieren.“

DErwin Zankel

war Chefredakt­eur der Kleinen Zeitung.

 ?? ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria