Präsident der Unzufriedenen
Donald Trump könnte neuerlich US-Präsident werden. Der Republikaner versteht es wie kaum ein Zweiter, den Zorn der Modernisierungsverlierer zu kanalisieren.
Politiker fallen nicht vom Himmel. Erst recht nicht Donald Trump. Neun Jahre nach seinem chaotischen Einstieg in die Politik steht der 77Jährige nach einem Erdrutschsieg am Super Tuesday nicht nur wieder als Kandidat der republikanischen Partei für die Präsidentschaftswahlen am 5. November fest. Auch Trumps Erfolgsrezept – den Frust der Abgehängten zu nutzen – geht heute mehr denn je auf. Die vielen Anklagen oder Trumps alle Verbündete verprellende Außenpolitik wiegen für viele Amerikaner weniger schwer als das „Make America great again“-Versprechen, das Trump dem gefühlten Niedergang der Nation entgegensetzt.
„Wir sehen, dass der Wohlstandsverlust zunächst in der untersten Einkommensklasse und durch die Finanzkrise auch in der Mittelschicht eine starke Frustration auslöste“, sagt die Soziologin Silvia Rief, die mehrere Jahre in Harvard lehrte. Der inflationsbereinigte Mindestlohn ist in den vergangenen Jahren gesunken. Bekamen amerikanische Arbeiterinnen und Arbeiter Ende der 1960er Jahre noch mindestens sieben Dollar für eine Stunde Arbeit, waren es 2002 nicht einmal mehr fünf.
Verbessert hat sich die Lage seither nicht. Viele Menschen sind auf der Jagd nach dem amerikanischen Traum in den vergangenen Jahrzehnten in einer bitteren Realität aufgewacht. In den USA ist längst nicht mehr jeder seines Glückes Schmied. Knapp jeder sechste Bürger lebt heute unterhalb der Armutsgrenze, aktuell sind die USA das einzige westliche Industrieland, in dem die Lebenserwartung sinkt.
Der Wunsch nach einer staatlich organisierten sozialen Absicherung keimte im Land der begrenzten Möglichkeiten nie auf. „In Europa hat sich die soziale Frage als politische Strömung festgesetzt, in den USA war das nie der Fall“, sagt Rief. Die ideologische Differenz zum Kommunismus, die im Kalten Krieg ihren Ausgang fand, wirkt bis heute nach.
Dass sich ausgerechnet der Milliardär Trump, der mit seinen Forderungen nach Steuersenkungen auch viele Superreiche anspricht, auch für sozial Abgehängte als Lösung darstellt, ist deshalb nur auf den ersten Blick ein Widerspruch. „Viele Amerikaner sehen in der Vita
von Trump ein Vorbild – er ist einer, der es geschafft hat“, erklärt Rief. Dass sein Immobilien-Imperium ebenfalls vor Gericht steht und der Reichtum seiner Familie ein nicht unwesentlicher Startvorteil für Trump war, wird ignoriert.
Besonders Bürgerinnen und Bürger einst stolzer Industrieregionen leiden unter dem sozialen Abstieg. Immer mehr kleinere und mittlere Städte dort sind von starker Abwanderung betroffen, die Lebenshaltungskosten in den großen wirtschaftsstarken Metropolen schnellten hingegen in die Höhe. Mindes
tens 40 Prozent der von 2000 bis 2011 angestiegenen Arbeitslosigkeit ist laut einer Erhebung der Volkswirte John Komlos und Hermann Schubert auf die Deindustrialisierung der USA zurückzuführen. In Ohio, wo Donald Trump sowohl 2016 als auch 2020 erfolgreich war, wurden in den letzten 20 Jahren mehr als 300.000 Jobs in der Industrie abgebaut. Hillary Clinton, einst Trumps Konkurrentin um das Präsidentenamt, nannte die Arbeiter dieser Region im Wahlkampf wenig schmeichelhaft „bedauernswert“. Trump hingegen erkannte: Die Menschen brauchen kein Mitleid, stattdessen sprach er den Frustrierten aus der Seele, in dem er auf Eliten schimpfte und versprach, das Land zu alter Größe zu führen.
Während seiner ersten Amtszeit ist es Trump auch tatsächlich gelungen, eine Fabrik von Fiat Chrysler wieder zurück nach Michigan zu bringen. Dass parallel drei Fabriken von General Motors den Swing State verließen, ist für Trumps Anhänger eine Randnotiz und nicht „ihrem Präsidenten“anzulasten.