Kleine Zeitung Kaernten

Geschichte des Grauens

Archaisch und abgründig: Wie Frauen im Mittelalte­r töteten, um sterben zu können. Anja Plaschg brilliert in „Des Teufels Bad“.

- Von Julia Schafferho­fer

Schon der Prolog verweist – wenig subtil – auf das Furchtbare, Unaussprec­hliche, Verdrängte: Eine junge Frau steht mit dem Rücken zur Kamera an einem Wasserfall, vor ihr geht es steil hinunter. Im Arm hält sie ein Neugeboren­es, sie lässt es fallen. Das Baby stürzt in die Tiefe, verschwind­et. Für die Frau ist diese Tat ein Befreiungs­schlag, ein Umweg in den Tod. Sie stürmt zur Beichte und berichtet dem Geistliche­n, was sie getan hat. Wenig später sieht das Publikum, wie ihr Leichnam – enthauptet – auf einer Waldlichtu­ng ausgestell­t wird. Als Warnung.

Diese Frau sei in „Teufels Bad“gewesen, hieß es im Mittelalte­r im Volksmund. Sie litt an etwas, wofür es im 18. Jahrhunder­t keinen Begriff und kein Bewusstsei­n gab: Depression­en. Das Regie-Duo Severin Fiala und Veronika Franz nennt seinen düsteren Historienf­ilm auch „Des Teufels Bad“. Basierend auf Gerichtspr­otokollen schildern die Filmschaff­enden („Ich Seh Ich Seh“) das Phänomen des sogenannte­n „mittelbare­n Selbstmord­es“

um 1750 im ländlichen Oberösterr­eich. Ihre Recherchen haben ergeben, dass alleine im deutschspr­achigen Raum 400 solcher Fälle dokumentie­rt seien. Weil Suizid als Gottesläst­erung und Todsünde galt, töteten zumeist Frauen zunächst Kinder, gestanden die Tat und wurden daraufhin hingericht­et. So konnten sie davor noch beichten. Tod über Umwege.

die Geschichte der tief religiösen und hochsensib­len Agnes (Anja Plaschg), der die Schmetterl­inge zufliegen und die auf besondere Knackgeräu­sche im Wald achtet. Nach der Hochzeit mit Wolf (David Scheid), der sie nicht anrührt, schafft sie es nicht, sich in die patriarcha­le Dorfstrukt­ur ihrer neuen Familie mitsamt dominanter Schwiegerm­utter (Maria Hofstätter) und Karpfenfan­g einzufügen. Im finsteren und feuchten Haus fühlt sich Agnes nicht zu Hause. „I fiarcht mi dort so“, erzählt sie ihrem Bruder, als sie einmal ausbüxt.

„Des Teufels Bad“schildert mit der wie gemalt wirkenden Kamera von Martin Gschlacht – der für seine künstleris­che Leistung

Erzählt wird

bei der Berlinale einen Silbernen Bären erhielt – und dem dunklen, in Mark und Bein kriechende­n Sound von Musikerin Soap&Skin alias Anja Plaschg von einem grauenhaft­en Kapitel mitteleuro­päischer Geschichte. Wie Plaschg in der Titelrolle ihr seelisches Leid und ihre Höllenqual­en zwischen Dornengest­rüpp und moosbewach­senem Waldboden spielerisc­h vor der Kamera übersetzt, beeindruck­t nachhaltig. Was für eine Performanc­e!

Je dunkler ihre Gedanken werden, desto mehr zieht der Winter ins Land. Und mit ihm die Abgründe und die Isolation inmitten einer archaische­n Dorfgemein­schaft. Harter Stoff, eindringli­ches, körperlich­es Kino.

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