Sehschwächenkorrektur
Die männliche Brille sitzt gut, auch im Jahr 2024 noch. Der Blick geht an der Realität vorbei. Höchste Zeit für einen Perspektivenwechsel.
ir leben in einer Welt der Männer. Eine aktuelle Studie zeigt: Schon junge Mädchen müssen mehr im Haushalt anpacken als gleichaltrige Burschen. Die künstliche Intelligenz macht selbstverständlich aus harmlosen Befehlen hypersexualisierte Darstellungen von Frauen. Und Teenies schmieren sich die Fal- tencreme in TikTok-Videos ins Gesicht, um dem patriarchalen Stereotyp der „idealen“Frau nachzueifern. Der Blick fällt durch die männliche Brille.
Schlägt die Schülerin im Un- terricht das Geschichtsbuch auf, springen ihr immer noch meist die Helden entgegen. In der Kunststunde wird das Stillleben mit Sonnenblume von Vincent van Gogh abgemalt. Im Studium sitzt die angehende Mathemati- kerin allein unter Männern im Hörsaal. In der Firma ist sie dann mit hoher Wahrschein- lichkeit lauter Vorgesetzten un- terstellt. Denn der Frauenanteil in Führungspositionen in mit- telständischen Unternehmen hat sich in den vergangenen bei- den Jahrzehnten weltweit gera- de einmal von 19,4 auf 33,5 Pro- zent gesteigert, wie das Beratungsunternehmen Grant
WThornton erhoben hat.
Und sollte besagte Mathema- tikerin je einen Herzinfarkt be- kommen, dann wird er nicht er- kannt, denn sie hatte keine ty- pischen – also männlichen – Symptome. Schon lange weiß man von dem auf Männer be- schränkten Blick, was medizini- sche Forschung angeht.
Währenddessen werben Influ- encer wie Andrew Tate eifrig weiter für traditionelle Rollen- bilder. Denn nur der starke Mann ist der echte Mann. Wenn er keine Frau abbekommt, sucht er die Schuld bei ihr. Das Internet als Hort der gekränkten Männ- lichkeit. Und über Gefühle reden, gar in Therapie gehen, das ma- chen Männer immer noch selte- ner als Frauen. Lieber sich im Männlichkeitsbild verlieren. Und im schlimmsten Fall wer- den Frauen getötet, einzig und allein, weil sie Frauen sind.
Wir leben in einer Welt der Männer. Denn wir sehen die
Welt durch die Brille des Patriarchats, auch heute noch. Sei es bewusst oder unbewusst, sei es in der Bildung, in der Medizin, in den sozialen Netzwerken. Fakt ist: Die Hälfte der Bevölkerung wird, wenn überhaupt, nur mangelhaft betrachtet.
Setzen wir die weibliche Brille auf. Neben der männlichen und noch vielen anderen Sichtweisen braucht es den Blick aus der Perspektive der Frauen, um einen annähernd realistischen Blick auf diese Welt, auf die Wirklichkeit zu bekommen. Das muss der erste Schritt sein.
Von allein wird sich der nicht umsetzen lassen. Es braucht Rahmenbedingungen und Gesetze, die die weibliche Brille zu einem Muss machen. Es braucht Verantwortliche aus Politik, Wirtschaft und Co, die nicht nur die Perspektiven, sondern auch die Bedürfnisse, die Interessen von Frauen einnehmen, vertreten und durchsetzen. Damit festgefahrene Strukturen aufbrechen, sich Verhaltensweisen ändern. Damit endlich Gleichberechtigung entsteht. ie Welt, sie muss zu einer werden, die uns allen gehört. Durch mehr Brillen können alle klarer sehen.
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