„Unter der Festspielpanier sind die Dinge ins Rutschen geraten“
Es gebe ein anderes Salzburg, sagt die Schriftstellerin Birgit Birnbacher, eine Gegenwelt zum Schaulaufen der Reichen. Sie könnte am heutigen Wahltag für Überraschungen sorgen.
Frau Birnbacher, Salzburg ist „eine perfide Fassade“, hat Thomas Bernhard über seine Heimatstadt gesagt. Es ist auch Ihre Stadt. Ist Ihr Urteil auch so erbarmungslos? BIRGIT BIRNBACHER:
Ich würde ja gerne etwas Milderes sagen, aber das fällt mir nicht ganz leicht. Die Stadt Salzburg möchte immer ein möglichst aufpoliertes Gesicht zeigen, aber unter der Festspielpanier sind längst die Dinge ins Rutschen geraten. junge Familien werden gleich ganz aus dem urbanen Raum hinausgedrängt, während dieser immer mehr zur Kulisse für das Schaulaufen der Superreichen und zur Spielwiese der Investoren verkommt.
Macht der internationale Glamour nicht seit jeher mit den Reiz von Salzburg aus?
Die bunte Mischung der Leute aus Schauspiel, Theater und Musikbranche tut Salzburg auf alle Fälle gut und ändert das Gesicht der Stadt. Trotzdem darf halt auch nicht übersehen werden, dass es ganz „normale“Menschen gibt, die hier leben. Ich selber erlebe in Salzburg weniger internationalen Glamour, sondern vor allem eine breite Schicht an Konservativen, die ihre Privilegien schützen und ausbauen. Kunst bekommt in dem Zusammenhang dann auch schnell etwas Dekoratives, etwas, das man eben macht, weil es zum guten Ton gehört und weil man es sich leisten kann.
Ist das in Loden gekleidete Bürgertum, das Bernhard hasste, ohne davon loszukommen, noch immer eine Macht in der Stadt?
Einerseits ja, andererseits haben wir längst auch hier diese Slimfit-Bürgerlichen kennengelernt, die neoliberale Ideen ins Menschenfeindliche schrauben und das alles noch flauschig in verharmlosend-volksnahe Floskeln verpacken. Im Vergleich dazu ist der bernhard’sche Lodenkatholik fast harmlos.
Das Bürgerliche hat auch in Salzburg viele Gesichter. Findet sich denn gar keines darunter, das Ihnen sympathisch ist?
Ja, schon. Ich habe auch Freunde, die weltanschaulich, oder sagen wir zumindest, politisch ganz anders ticken als ich. Ich mag die Unterschiedlichkeit und wenn ich Menschen nicht verstehe, fordert mich das heraus und ich will begreifen, wie sie denken. Aber häufig verstehen wir einander auch deswegen nicht, weil überhaupt keine Einigkeit darüber besteht, was die soziale Wirklichkeit ist.
Was ist das für eine Realität, die dem barocken Selbstbild der Stadt so völlig entgegensteht?
Ich arbeite seit zehn Jahren für ein paar Stunden in der Woche in der sogenannten Quartiersarbeit. Das ist Sozialarbeit in Siedlungen, die neu bezogen werden oder schon länger bestehen. Das können soziale Brennpunkte sein, aber in Salzburg geht es überwiegend um Generationenwohnprojekte, die wir begleiten. Da kriegt man viel von den Menschen mit. Wenn ich diese Arbeit nicht hätte, wüsste ich wahrscheinlich gar nicht, was es alles gibt. Wie viele ältere Frauen es zum Beispiel in der Stadt gibt, die ihr Leben lang gearbeitet haben und jetzt Mindestsicherung brauchen, um die Miete bezahlen zu können. Weil es halt unbezahlte Arbeit war, weil dann die Scheidung kam, weil wer gestorben ist – und so weiter.
Die Gegenwelt, die Sie da beschreiben: Wie repräsentativ ist sie für die Stadt insgesamt?
Viele Menschen, die wir vorbehaltlos der Mittelschicht zuordnen, wurschteln sich nur noch gerade so durch. Die Krise in der Pflege wird voll spürbar, wenn man für ältere Bewohnerinnen, die aus dem Krankenhaus entlassen werden, rasch Hauskrankenpflege braucht und einfach niemand da ist, der das übernehmen kann, weil es zwar die Anbieter gibt, aber kein Personal. Solche Beispiele könnte ich viele aufzählen.
Was schlussfolgern Sie daraus? Ich würde es zuspitzen: Österreich ist ein Land, in dem viel Geld da ist, aber nicht für alle.
Ist das der Stoff, aus dem sich der Zuspruch für die KPÖ speist?
Auch. Die KPÖ mobilisiert Wähler aus unterschiedlichen Richtungen. Einerseits ist sie ein Angebot für alle, die von der Bürgerliste, also den Grünen oder der SPÖ, enttäuscht sind. In den letzten Jahren hat sich in der Kinderbetreuung viel zu wenig getan. Was den O-Bus betrifft, ist die Situation katastrophal geworden, das ist wirklich ein großes Thema in Salzburg, wo wir Rückschritte gemacht haben, und das mit etlichen Sitzen der Grünen im Gemeinderat. Vom Wohnen haben wir jetzt noch gar nicht zu reden angefangen. SPÖ und Grüne hätten in den letzten fünf Jahren die Gelegenheit gehabt, etwas zu verändern, passiert ist leider wenig.
Dankl einen populistischen Ton wählt, der auch Nichtwähler mobilisiert. Mit seiner klaren Position gegen die grausamen und menschenfeindlichen Strukturen kommunistischer Systeme ist er auch für ein akademisch-linksorientiertes Milieu eine ernstzunehmende Alternative geworden.
Hat Dankls linker Populismus nicht auch etwas Irritierendes? Ich denke nicht, dass Dankl ein Populist ist, ganz im Gegenteil. Er ist ein Intellektueller, der es versteht, mit den Leuten zu reden und dazu einen populistischen Tonfall wählt. Ich denke schon lange darüber nach, was es bedeutet, dass sich fremdenfeindliche Parteien der einfachen Sprache bedienen. Es ist mir natürlich nicht recht, dass das passiert. Bisher ist nur niemandem etwas dagegen eingefallen, und auch, wenn ich nicht der Meinung bin, dass es uneingeschränkt richtig ist, sich nun von linker Seite eines populistischen Tonfalls zu bedienen: Vielleicht ist es auch nicht nur falsch. Vielleicht ist es einen Versuch wert und vielleicht gelingt es sogar, Inhalte zu vereinfachen, ohne sie zu verfälschen.
Daran wäre doch nichts verkehrt.
Man kann einwenden, dass ein populistischer Tonfall, egal von wem, die Dinge einfacher macht, als sie sind – auch in Salzburg.
Eine populistische Sprache schon, aber meine Überlegung will ja darauf hinaus, ob es nicht auch innerhalb einer solchen Vereinfachungen gibt, die der Wirklichkeit gerecht werden.
Verlangt eine Stadt vom internationalen Format Salzburgs nicht nach einer Politik, die mehr will als leistbares Wohnen?
Das sagen Sie so einfach. Ich glaube, die meisten Menschen interessieren sich mehr dafür, ob sie am Ende des Monats noch einkaufen gehen können, als für das Weltkulturerbe oder die Festspiele. Ich erlebe Salzburg auch als offene und bewegliche Stadt, aber wir haben ein paar gröbere Probleme, die zuerst einmal gelöst werden müssen.
Das Salzburg, von dem Sie träumen, was ist das für eine Stadt?
Ich träume nicht so viel von Salzburg, um ehrlich zu sein. Aber im Ernst: Das Auto hat in dieser Stadt einen Stellenwert,
der wirklich ins Absurde geht. Hier fahren Autos quer durch Parks, teils an der Salzach entlang, am Residenzplatz, durch die Altstadt, einfach an Stellen, wo man, wenn man viel unterwegs ist, niemals vermuten würde, dass da gefahren wird. Wenn Sie also so wollen, träume ich von einer Stadt, in der niemand auf den Individualverkehr angewiesen ist.
Geht das überhaupt?
In einer so kleinen und reichen Stadt wie Salzburg müssen Öffis im Siebenminutentakt fahren und für Kinder gratis sein, genauso wie Museen und Bibliotheken. Es muss möglich sein, dass Kinder, egal welcher Herkunft, die gleichen Chancen haben und dass Frauen wie Männer die Möglichkeit einer leistbaren Kleinkindbetreuung haben. Und die Kindergärten und Schulen und Pflegeeinrichtungen brauchen endlich mehr Geld, sodass sie den Anforderungen der Gegenwart gerecht werden können. Und: Wir brauchen mehr öffentlichen Raum ohne Konsumzwang. Diesbezüglich ist aber tatsächlich schon einiges geschehen. Manchmal werden Träume ja auch wahr.
ANTWORT: Nein, bei den Land- tagswahlen 2023 schoben sich die Kommunisten in der zutiefst bürgerlichen Landeshauptstadt überraschend auf Platz zwei. Mit 21,5 Prozent landete die KPÖ 3,3 Prozentpunkte hinter der SPÖ. Niemand hatte damit gerechnet.
ANTWORT: Nein. Anders als bei Nationalrats-, Landtags- oder Gemeinderatswahlen in Graz, Wien, Klagenfurt finden in Salzburg zwei unterschiedliche Wahlgänge statt: Zum einen entscheiden die Wähler über das Kräfteverhältnis im Gemeinderat, zum anderen stimmen sie über den Bürgermeister ab. Kommt niemand über 50 Prozent, fällt die Entscheidung bei der Stichwahl in zwei Wochen am Palmsonntag.