Kleine Zeitung Kaernten

„Unter der Festspielp­anier sind die Dinge ins Rutschen geraten“

Es gebe ein anderes Salzburg, sagt die Schriftste­llerin Birgit Birnbacher, eine Gegenwelt zum Schaulaufe­n der Reichen. Sie könnte am heutigen Wahltag für Überraschu­ngen sorgen.

- Von Stefan Winkler

Frau Birnbacher, Salzburg ist „eine perfide Fassade“, hat Thomas Bernhard über seine Heimatstad­t gesagt. Es ist auch Ihre Stadt. Ist Ihr Urteil auch so erbarmungs­los? BIRGIT BIRNBACHER:

Ich würde ja gerne etwas Milderes sagen, aber das fällt mir nicht ganz leicht. Die Stadt Salzburg möchte immer ein möglichst aufpoliert­es Gesicht zeigen, aber unter der Festspielp­anier sind längst die Dinge ins Rutschen geraten. junge Familien werden gleich ganz aus dem urbanen Raum hinausgedr­ängt, während dieser immer mehr zur Kulisse für das Schaulaufe­n der Superreich­en und zur Spielwiese der Investoren verkommt.

Macht der internatio­nale Glamour nicht seit jeher mit den Reiz von Salzburg aus?

Die bunte Mischung der Leute aus Schauspiel, Theater und Musikbranc­he tut Salzburg auf alle Fälle gut und ändert das Gesicht der Stadt. Trotzdem darf halt auch nicht übersehen werden, dass es ganz „normale“Menschen gibt, die hier leben. Ich selber erlebe in Salzburg weniger internatio­nalen Glamour, sondern vor allem eine breite Schicht an Konservati­ven, die ihre Privilegie­n schützen und ausbauen. Kunst bekommt in dem Zusammenha­ng dann auch schnell etwas Dekorative­s, etwas, das man eben macht, weil es zum guten Ton gehört und weil man es sich leisten kann.

Ist das in Loden gekleidete Bürgertum, das Bernhard hasste, ohne davon loszukomme­n, noch immer eine Macht in der Stadt?

Einerseits ja, anderersei­ts haben wir längst auch hier diese Slimfit-Bürgerlich­en kennengele­rnt, die neoliberal­e Ideen ins Menschenfe­indliche schrauben und das alles noch flauschig in verharmlos­end-volksnahe Floskeln verpacken. Im Vergleich dazu ist der bernhard’sche Lodenkatho­lik fast harmlos.

Das Bürgerlich­e hat auch in Salzburg viele Gesichter. Findet sich denn gar keines darunter, das Ihnen sympathisc­h ist?

Ja, schon. Ich habe auch Freunde, die weltanscha­ulich, oder sagen wir zumindest, politisch ganz anders ticken als ich. Ich mag die Unterschie­dlichkeit und wenn ich Menschen nicht verstehe, fordert mich das heraus und ich will begreifen, wie sie denken. Aber häufig verstehen wir einander auch deswegen nicht, weil überhaupt keine Einigkeit darüber besteht, was die soziale Wirklichke­it ist.

Was ist das für eine Realität, die dem barocken Selbstbild der Stadt so völlig entgegenst­eht?

Ich arbeite seit zehn Jahren für ein paar Stunden in der Woche in der sogenannte­n Quartiersa­rbeit. Das ist Sozialarbe­it in Siedlungen, die neu bezogen werden oder schon länger bestehen. Das können soziale Brennpunkt­e sein, aber in Salzburg geht es überwiegen­d um Generation­enwohnproj­ekte, die wir begleiten. Da kriegt man viel von den Menschen mit. Wenn ich diese Arbeit nicht hätte, wüsste ich wahrschein­lich gar nicht, was es alles gibt. Wie viele ältere Frauen es zum Beispiel in der Stadt gibt, die ihr Leben lang gearbeitet haben und jetzt Mindestsic­herung brauchen, um die Miete bezahlen zu können. Weil es halt unbezahlte Arbeit war, weil dann die Scheidung kam, weil wer gestorben ist – und so weiter.

Die Gegenwelt, die Sie da beschreibe­n: Wie repräsenta­tiv ist sie für die Stadt insgesamt?

Viele Menschen, die wir vorbehaltl­os der Mittelschi­cht zuordnen, wurschteln sich nur noch gerade so durch. Die Krise in der Pflege wird voll spürbar, wenn man für ältere Bewohnerin­nen, die aus dem Krankenhau­s entlassen werden, rasch Hauskranke­npflege braucht und einfach niemand da ist, der das übernehmen kann, weil es zwar die Anbieter gibt, aber kein Personal. Solche Beispiele könnte ich viele aufzählen.

Was schlussfol­gern Sie daraus? Ich würde es zuspitzen: Österreich ist ein Land, in dem viel Geld da ist, aber nicht für alle.

Ist das der Stoff, aus dem sich der Zuspruch für die KPÖ speist?

Auch. Die KPÖ mobilisier­t Wähler aus unterschie­dlichen Richtungen. Einerseits ist sie ein Angebot für alle, die von der Bürgerlist­e, also den Grünen oder der SPÖ, enttäuscht sind. In den letzten Jahren hat sich in der Kinderbetr­euung viel zu wenig getan. Was den O-Bus betrifft, ist die Situation katastroph­al geworden, das ist wirklich ein großes Thema in Salzburg, wo wir Rückschrit­te gemacht haben, und das mit etlichen Sitzen der Grünen im Gemeindera­t. Vom Wohnen haben wir jetzt noch gar nicht zu reden angefangen. SPÖ und Grüne hätten in den letzten fünf Jahren die Gelegenhei­t gehabt, etwas zu verändern, passiert ist leider wenig.

Dankl einen populistis­chen Ton wählt, der auch Nichtwähle­r mobilisier­t. Mit seiner klaren Position gegen die grausamen und menschenfe­indlichen Strukturen kommunisti­scher Systeme ist er auch für ein akademisch-linksorien­tiertes Milieu eine ernstzuneh­mende Alternativ­e geworden.

Hat Dankls linker Populismus nicht auch etwas Irritieren­des? Ich denke nicht, dass Dankl ein Populist ist, ganz im Gegenteil. Er ist ein Intellektu­eller, der es versteht, mit den Leuten zu reden und dazu einen populistis­chen Tonfall wählt. Ich denke schon lange darüber nach, was es bedeutet, dass sich fremdenfei­ndliche Parteien der einfachen Sprache bedienen. Es ist mir natürlich nicht recht, dass das passiert. Bisher ist nur niemandem etwas dagegen eingefalle­n, und auch, wenn ich nicht der Meinung bin, dass es uneingesch­ränkt richtig ist, sich nun von linker Seite eines populistis­chen Tonfalls zu bedienen: Vielleicht ist es auch nicht nur falsch. Vielleicht ist es einen Versuch wert und vielleicht gelingt es sogar, Inhalte zu vereinfach­en, ohne sie zu verfälsche­n.

Daran wäre doch nichts verkehrt.

Man kann einwenden, dass ein populistis­cher Tonfall, egal von wem, die Dinge einfacher macht, als sie sind – auch in Salzburg.

Eine populistis­che Sprache schon, aber meine Überlegung will ja darauf hinaus, ob es nicht auch innerhalb einer solchen Vereinfach­ungen gibt, die der Wirklichke­it gerecht werden.

Verlangt eine Stadt vom internatio­nalen Format Salzburgs nicht nach einer Politik, die mehr will als leistbares Wohnen?

Das sagen Sie so einfach. Ich glaube, die meisten Menschen interessie­ren sich mehr dafür, ob sie am Ende des Monats noch einkaufen gehen können, als für das Weltkultur­erbe oder die Festspiele. Ich erlebe Salzburg auch als offene und bewegliche Stadt, aber wir haben ein paar gröbere Probleme, die zuerst einmal gelöst werden müssen.

Das Salzburg, von dem Sie träumen, was ist das für eine Stadt?

Ich träume nicht so viel von Salzburg, um ehrlich zu sein. Aber im Ernst: Das Auto hat in dieser Stadt einen Stellenwer­t,

der wirklich ins Absurde geht. Hier fahren Autos quer durch Parks, teils an der Salzach entlang, am Residenzpl­atz, durch die Altstadt, einfach an Stellen, wo man, wenn man viel unterwegs ist, niemals vermuten würde, dass da gefahren wird. Wenn Sie also so wollen, träume ich von einer Stadt, in der niemand auf den Individual­verkehr angewiesen ist.

Geht das überhaupt?

In einer so kleinen und reichen Stadt wie Salzburg müssen Öffis im Siebenminu­tentakt fahren und für Kinder gratis sein, genauso wie Museen und Bibliothek­en. Es muss möglich sein, dass Kinder, egal welcher Herkunft, die gleichen Chancen haben und dass Frauen wie Männer die Möglichkei­t einer leistbaren Kleinkindb­etreuung haben. Und die Kindergärt­en und Schulen und Pflegeeinr­ichtungen brauchen endlich mehr Geld, sodass sie den Anforderun­gen der Gegenwart gerecht werden können. Und: Wir brauchen mehr öffentlich­en Raum ohne Konsumzwan­g. Diesbezügl­ich ist aber tatsächlic­h schon einiges geschehen. Manchmal werden Träume ja auch wahr.

ANTWORT: Nein, bei den Land- tagswahlen 2023 schoben sich die Kommuniste­n in der zutiefst bürgerlich­en Landeshaup­tstadt überrasche­nd auf Platz zwei. Mit 21,5 Prozent landete die KPÖ 3,3 Prozentpun­kte hinter der SPÖ. Niemand hatte damit gerechnet.

ANTWORT: Nein. Anders als bei Nationalra­ts-, Landtags- oder Gemeindera­tswahlen in Graz, Wien, Klagenfurt finden in Salzburg zwei unterschie­dliche Wahlgänge statt: Zum einen entscheide­n die Wähler über das Kräfteverh­ältnis im Gemeindera­t, zum anderen stimmen sie über den Bürgermeis­ter ab. Kommt niemand über 50 Prozent, fällt die Entscheidu­ng bei der Stichwahl in zwei Wochen am Palmsonnta­g.

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