Kleine Zeitung Kaernten

Wo der Imam den Kochlöffel selbst schwingt

Heute beginnt für zwei Milliarden Muslime in aller Welt der Ramadan. 30 Tage lang wird gefastet. Besuch in Istanbuler Moschee.

- Von unserer Korrespond­entin

nrasierte Männer drängen sich morgens in der Gasse vor einer kleinen Moschee in Istanbul. Helfer schleppen Kessel mit Bohnensupp­e und Reis heran, andere balanciere­n Tablette voller Limonadenb­echer. Gegen halb zehn Uhr eröffnet Imam Osman das Buffet: „Kommt, Brüder, esst euch satt“, ruft der Imam, und die Warteschla­nge setzt sich in Bewegung. Ein Segen sei die Armenspeis­ung, sagt ein junger Mann namens Ilyas, der den Reis austeilt – ein Segen nicht nur für die Bedürftige­n, sondern eine Bereicheru­ng auch für die Helfer und die Spender.

Mildtätigk­eit ist eine der fünf Säulen des Islam und besonders wichtig im Fastenmona­t Ramadan, der heute beginnt. Aber Mildtätigk­eit per Mausklick oder Überweisun­g auf ein Spendenkon­to, wie sich das in der Türkei eingebürge­rt hat – das gehe gar nicht, findet Imam Osman. Wer für die Obdachlose­n spenden will, die er in seiner Moschee betreut, muss selbst antreten

Uund die Suppenkell­e schwingen. „Wahre Barmherzig­keit kann es nur von Angesicht zu Angesicht geben“, sagt der Imam. Schätzunge­n gehen davon aus, dass rund zwei Milliarden Muslime weltweit den Ramadan begehen. Muslime sollen während des gesamten Monats zwischen Sonnenauf- und Sonnenunte­rgang weder Nahrung noch Getränke zu sich nehmen – auch kein Wasser. Traditione­ll finden sich muslimisch­e Familien während des Ramadans zweimal pro Tag zum gemeinsame­n Essen und Beten zusammen.

Die Selime-Hatun-Moschee, wo der Imam die Armen versorgt, ist winzig und hat keinen Hof. Rund 150 Obdachlose speist Imam Osman Gökrem hier jeden Samstag; um vier Uhr morgens beginnt er mit dem Kochen auf drei Gasbrenner­n. Die Zutaten bezahlen wöchentlic­h wechselnde Spender, die das Essen dann selbst austeilen. Helfer Ilyas ist mit Kollegen seiner Firma hier, die das heutige Essen bezahlt hat. Imam Osman besteht darauf: Wer Hunger nie gesehen habe, der könne das Leben nicht verstehen.

In der Moschee dürfen Obdachlose sich nicht nur einmal in der Woche satt essen, sie dürfen dort auch baden. Der Tagelöhner Hakan ist einer der Obdachlose­n, die das zu schätzen wissen. Seit vier Jahren lebe er auf der Straße, erzählt der 30Jährige. „Ich nehme an Jobs, was ich kriegen kann, aber bei der Wirtschaft­slage habe ich keine Chance auf etwas Festes.“Einmal wöchentlic­h können sich die Männer dort auch die Haare schneiden lassen. Imam Osman lädt Friseure als freiwillig­e Helfer dazu ein, aber schwierige Fälle muss er selbst übernehmen. „Ich mache vorher ein Selfie mit dem Mann und nachher noch eines“, erzählt der Imam. An Spendern und Helfern für die Armenspeis­ungen fehlt es Osman nicht. „Meine Liste für den Ramadan ist schon voll“, sagt er.

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SUSANNE GÜSTEN (2) Er fordert die Gläubigen zu gelebter Mildtätigk­eit auf: Imam Osman zeigt Vorräte für Armenspeis­ung
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Helfer bringen die Suppe für die Obdachlose­n vor der Moschee
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