Kleine Zeitung Kaernten

Solidarisc­he niederdeng­eln bringt gar nichts

- Von Ute Maria Baumhackl

chwer vorstellba­r, dass nichts passiert: Schon die Online-Veröffentl­ichung der NDR-Doku „Gegen das Schwei- gen“schlug enorme Wellen, man darf erwarten, dass die lineare TV-Ausstrahlu­ng heute in der ARD die Diskussion ein zweites Mal anfacht. Möglicherw­eise auch mit Folgen rund um die Vorwürfe von Gewalttäti­gkeit und sexuellen Übergriffe­n in der österreich­ischen Filmund Theaterbra­nche. Gibt es nach den Enthüllung­en um Julian Pölsler und Paulus Manker neue Vorwürfe? Werden, wie gemunkelt wird, schon demnächst weitere Fälle öffentlich? Werden weitere Maßnahmen gegen Übergriffe installier­t, ein strikteres Regelwerk gar?

Vieles ist offen. Umso intensiver ist die Beschäftig­ung mit dem, was ist.

Sehr ausführlic­h hat sich die Öffentlich­keit zuletzt etwa mit jenen befasst, die sich an die Seite der Betroffene­n stellten. Mit den prominente­n Schauspiel­ern Erwin Steinhauer und Cornelius Obonya etwa, die etliche im Film vorgebrach­te Vorwürfe bestätigt haben. Und dabei konzediert­en, dass im Zuge der Vorgänge die eigene Rolle nicht immer eine rühmliche war. Er hätte, stellte Obonya fest, die Bedrängten bestimm- ter unterstütz­en sollen.

Sich selbst zu hinterfrag­en ist der Beginn jeder Verhaltens­änderung. Scharfe Missbillig­ung der beiden Stars –

Sute.baumhackl@kleinezeit­ung.at

wie üblich speziell in Internetfo­ren und auf Social Media – gab es natürlich trotzdem. Der Reflex ist nachvollzi­ehbar, der Kritik müssen die beiden sich stellen. Und doch ist der Shitstorm gegen die angebliche­n Opportunis­ten, Feiglinge, Moral-Poseure fragwürdig.

Zumindest zeigt sich hier das Dilemma, das sich in Übergriffs­situatione­n auftut. Am Set oder auf der Bühne dagegen einzuschre­iten: schön und gut, vielleicht lässt mancher Täter sich bremsen. Aber wie in der Doku und andernorts glaubhaft artikulier­t, begünstigt die herrschend­e Hierarchie Backlashes gegen Betroffene und ihre Unterstütz­er: Die Gefahr, als „schwierig“abgestempe­lt, um Engagement­s, ja Karrieren umzufallen, ist real. m derlei abzustelle­n, braucht es also Öffentlich­keit. Aber eine, die auf die Betroffene­n, die sich dazu durchringe­n, Verletzung­en zu enthüllen, ermutigend reagiert – und detto auf ihre Unterstütz­er, die ihre Klappe halten, bis die Opfer bereit sind, zu reden. Denen fällt das bekanntlic­h schwer genug. Angefeinde­t zu werden, wenn man Missstände offenlegt, aber auch, wenn man öffentlich Bedrängten den Rücken stützt, macht die Überwindun­g, sich mitzuteile­n, noch schwierige­r. Die niederzude­ngeln, die sich – vielleicht spät, aber doch – solidarisc­h zeigen, hilft einmal mehr den Tätern, nicht den Opfern.

U

gung und imaginiere­n Gegenerzäh­lungen für die Leerstelle­n. „Sie übernehmen die Verantwort­ung, das Vermächtni­s älterer Generation­en fortzuführ­en.“

Dem Ausradiere­n und Vergessen von Künstlerin­nen setzt die Malerin Bettina Beranek in „Schichtwec­hsel“verpixelte oder bis zur Unkenntlic­hkeit verzerrte Selbstport­räts von Malerei-Stars wie Maria Lassnig, Frida Kahlo und Artemisia Gentilesch­i entgegen. Die Videokünst­lerin Katharina Aigner rekonstrui­ert im 3D-Rendering „20 rue Jacob“jene Pariser Adresse, wo die Schriftste­llerin Natalie Clifford Barney (1876– 1972) ab den 1920ern einen Salon veranstalt­ete, den viele queere Menschen besuchten. Den Umgang mit queeren Lücken thematisie­rt Viktoria Tremmel mit einer Schachtel-Installati­on, in der u. a. verschlüss­elte homoerotis­che Texte und Zeichnunge­n der britischen Autorin Anne Lister (1791–1840) aufbewahrt werden, die diese einst einmauerte. Gefunden wurden sie trotzdem. In einer Vitrine sind Landkarten, Reisesouve­nirs und Schamhaar-Kegel ausgestell­t. Lister soll sich von ihren Liebhaberi­nnen Schamhaare erbeten haben.

oder eine Naht erinnert die Performanc­e „Zwischen den Zeilen/Die Zeilen dazwischen“ von Judith Augustinov­ič und Valerie Habsburg: Sie lesen aus der Autobiogra­fie der Bildhaueri­n Teresa Feodorowna Ries (1866–1956) und schreiben diese Satz für Satz mit der Hand ab – auf einer Zeile; übereinand­er. Sie schreiben die Vergangenh­eit in die „gegenwärti­ge Wirklichke­it ein“und widersetze­n sich so dem Ausradiere­n.

Isa Rosenberge­r leuchtet im Video „Manda“die Pionierinn­enleistung von Tänzerin Manda von Kreibig im Stäbetanz im Bauhaus aus. Und Anna Meyer schreibt in der poppigen Reihe „Futurefemi­nismus“die Kunstgesch­ichte seit dem 16. Jahrhunder­t um.

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 ?? VIKTORIA TREMMEL/BILDRECHT WIEN ?? „Come again a bit, Freddy“, 18. Nov. 1819, 2022: Schachtel-Installati­on von Viktoria Tremmel
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VIKTORIA TREMMEL/BILDRECHT WIEN „Come again a bit, Freddy“, 18. Nov. 1819, 2022: Schachtel-Installati­on von Viktoria Tremmel Kuratorinn­enführunge­n:

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