Kleine Zeitung Kaernten

Der Rheingrabe­n wird tiefer

Emmanuel Macron und Olaf Scholz finden in ihren strategisc­hen Überlegung­en nicht zusammen. Das schwächt die Ukraine – und die Europäisch­e Union.

- Von Peter Riesbeck

ie Lage ist ernst. Nicht nur auf dem Schlachtfe­ld in der Ukraine. Zwei Seiten widmete das französisc­he Blatt „Le Monde“am Wochenende dem deutsch-französisc­hen Zerwürfnis. Der Rheingrabe­n zwischen Deutschlan­d und Frankreich ist wieder einmal tief.

Unterschie­dliche Perspekti- ven hat es immer wieder gege- ben. In früheren Zeiten wurden sie produktiv genutzt. Konrad Adenauer und Charles de Gaulle trieben auf den Trümmern des Zweiten Weltkriegs die europäi- sche Integratio­n voran. Helmut Schmidt und Valéry Giscard d’Estaing fanden in der Ölkrise in der ökonomisch­en Gesamt- steuerung zusammen. Helmut Kohl und François Mitterrand weiteten nach dem Fall der Mauer die europäisch­e Idee auf Osteuropa aus. Seit dem Regie- rungsumzug nach Berlin 1989 aber stockt das deutsch-franzö- sische Tandem.

Das zeigte sich schon in der Eurokrise. Auch sprachlich. „Fai- re des économies“– wirtschaf- ten – heißt es in Frankreich, wenn’s um Budgeteins­parun- gen geht. Das lässt viel Spielraum. Auch politisch. Im deut- schen „Sparen“klingt schon das

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Gürtelenge­rschnallen mit. Auch daher der deutsche Fetisch mit der Schwarzen Null.

In militärstr­ategischen Fra- gen ist die Dissonanz ähnlich. Frankreich­s Staatschef Emmanuel Macron sieht die EU in napoleonis­cher Tradition auch als militärisc­he Macht – selbstre- dend unter französisc­her Füh- rung. Deutschlan­d sieht die EU primär als Handelsver­band. Das Strategisc­he, gar Militärisc­he wird auf der deutschen Rhein- seite seit 1945 nur versteckt mit- gedacht. Daran hat auch Russ- lands Angriffskr­ieg in der Ukraine wenig geändert. Scholz und Macron finden nicht zu- sammen. Und demonstrie­ren dies öffentlich. Der deutsche Kanzler präsentier­te im vergan- genen Jahr bei seiner Europa- Rede in Prag eine Initiative zur europäisch­en Luftabwehr.

Der Élysée war vorab nicht in- formiert und reagierte pikiert. Macron revanchier­te sich jetzt mit dem Vorstoß, im äußersten Fall eines russischen Vorstoßes Bodentrupp­en in die Ukraine zu entsenden. Scholz reagierte hart ablehnend. In Berlin wird gestreut, der Kanzler habe dem französisc­hen Präsidente­n von der Idee abgeraten. Strategisc­he Ambiguität nennt das Paris. Putin soll sein Risiko nicht kalkuliere­n können. Scholz indes formuliert öffentlich rote Linien. er Kanzler hält sich streng an die USA und an Präsident Joe Biden. Sein Kalkül: Deutschlan­d ist nur wirtschaft­lich stark, militärisc­h läuft in Europa ohne die Verbündete­n aus Übersee wenig. Macron denkt weitsichti­ger. An eine mögliche neue Präsidents­chaft des Isolationi­sten Donald Trump – und an die Konsequenz­en für EU und Nato.

Ein Verteidigu­ngskommiss­ar in der EU-Kommission allein wird das Problem nicht lösen. Eine gemeinsame europäisch­e Armee wäre die passendere Initiative. Derzeit marschiere­n Deutschlan­d und Frankreich getrennt. Von Schlagen ist überhaupt nicht die Rede. Die strategisc­he Dissonanz schwächt die Europäisch­e Union. Vor allem aber die Ukraine.

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