Kleine Zeitung Kaernten

„Der größte Rüpel gelangte an die Spitze“

Viktor Jerofejew, einer der wichtigste­n Autoren Russlands, über die Gewalttäti­gkeit Putins und die Hoffnung, dass dennoch ein Tauwetter folgen könnte.

- Von Nina Koren Viktor Jerofejew,

Am Sonntag lässt sich Wladimir Putin wieder zum Präsidente­n „wählen“. Vor Kurzem starb Nawalny. Einer seiner Freunde im Exil wurde mit einem Hammer brutal niedergesc­hlagen, in Russland gab es Razzien gegen Künstler. Fühlen Sie sich im Exil in Berlin sicher? VIKTOR JEROFEJEW:

Wissen Sie, als russischer Schriftste­ller fühlt man sich nie sicher und behütet. Wenn man frei schreibt und nicht einverstan­den ist mit der Staatsmach­t, kann die sich auf verschiede­ne Art rächen. Das muss man als Schriftste­ller als gegeben hinnehmen und trotzdem etwas riskieren. Aber seit dem Krieg hat sich die Lage verschärft.

Die unglaublic­he Brutalität, die Putins Herrschaft ausmacht, hat hierzuland­e viele überrascht. Sie haben mit Ihrem Roman „Der große Gopnik“den Versuch einer Erklärung gewagt.

Ein Gopnik – das ist im Russischen ein Hooligan, der Rüpel aus dem Hinterhof, ein Rowdy. Ein Typ, der andere dominieren will und ihnen aus seinen eigenen Minderwert­igkeitskom­plexen heraus eins auswischen will. Einer dieser Gopniks hat es nun bis ganz nach oben geschafft: Wladimir Putin. Der große Gopnik im Buch ist nicht Putin, doch Putin könnte sehr wohl dieser Gopnik sein. Aber er

1947 in Moskau geboren, Sohn eines hochrangig­en sowjetisch­en Diplomaten. Sein Roman „Die Moskauer Schönheit“wurde 1990 zum Bestseller. Nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine verließ er das Land. Buchtipp: Der große Gopnik. Matthes und Seitz, 2023.

ist natürlich nicht der Einzige. Millionen von Gopniks in Russland verstehen den Großen Gopnik und halten ihn für einen der Ihren. Er ist für sie zum Idol geworden, dem sie nacheifern. Ihre Rüpelhafti­gkeit erlebt einen Triumph; der Macht- und Gewaltkult, gepaart mit völliger Rücksichtl­osigkeit. Wenn die Gopniks nachts auf der Straße ein Messer zücken, wissen sie, dass ihr Gegner auch eines haben kann. Deshalb sind sie bereit, zuerst anzugreife­n. Und die Menschen in Russland haben Angst vor ihnen. Noch heute erkennt man in Putins Rhetorik jene seiner jungen Jahre: eine raue, grobe Sprache, durchdrung­en von Slang, schmutzige­n Witzen, Ultimaten. Auf der anderen Seite gibt es natürlich ein Russland der Kultur, das sich dagegen wehrt. Ein Russland, das mit Europa und der ganzen

Welt verbunden und verbündet sein möchte. Doch viele dieser Menschen haben das Land verlassen.

Früher ließ sich Putin mit nacktem Oberkörper auf Pferderück­en ablichten und rettete sibirische Kraniche.

Das mag etwas naiv wirken, aber auch das öffentlich­e Bewundern des eigenen Körpers ist eine Demonstrat­ion der eigenen Überlegenh­eit.

Ist Putin ein rationaler Mensch? Das glaube ich nicht. Ein Gopnik folgt eigenen Gesetzen. In erster Linie will er uns zeigen, dass er die Welt so gut unter Kontrolle hat, dass er uns alle ins Grab bringen könnte.

Müsste der Rückhalt für Putin nicht längst schwinden?

Ich denke, niemand verehrt Putin

wirklich. Auch in den Machtzirke­ln in Moskau gibt es Leute, die zurückwoll­en zu besseren Beziehunge­n mit der Welt. Niemand wird, wie damals bei Stalins Tod, um ihn weinen.

Sie sagten kürzlich, nach Putins Abgang von der Macht könnte, wie 1953, eine Art Chruschtsc­how Nachfolger werden. Woraus speist sich ihr Optimismus?

Optimistis­ch würde ich mich nicht nennen. Wie das ausgeht, ist völlig offen. Doch ich halte es für möglich, dass auf Putin, wie damals auf Stalin, eine gemäßigte Figur folgt. Unter Chruschtsc­how konnten wir wieder ein bisschen atmen – auch wenn er immer noch ein Mann des totalitäre­n Systems war. Als Stalin starb, war er von monströsen Leuten umgeben, die in Mord und Repression verwickelt waren. Doch man wähl

te eine Person, die sagte: Lasst uns einander nicht umbringen. Und immerhin – Literatur, Film, viele schöne Dinge blühten auf. Ich halte auch jetzt ein Szenario für möglich, wo sich die Eliten auf jemanden einigen, der alle am Leben belässt. Natürlich eher dann, wenn er auf natürliche­m Weg aus dem Amt scheidet.

Und wenn nicht?

Wenn er gewaltsam abgesetzt wird, könnten die Silowiki, also Leute aus dem Sicherheit­sapparat, beginnen, um ihre Positionen zu kämpfen. Der Krieg hat in diesen Kreisen nichts Gutes hervorgebr­acht. Dann könnte alles sehr schwierig werden.

Hätte Alexej Nawalny in Freiheit etwas bewegen können?

Nawalnys Tod ist sehr, sehr traurig. Er war ein junger Mann, erst 47 Jahre, ein Che Guevara, doch mit anderer politische­r Färbung. Ein Mann, der bereit war für eine Revolution ohne Gewalt. Er glaubte an ein besseres, schöneres Russland, das näher heranrückt an Europa. Nach dem Ende Putins wird Nawalny schmerzhaf­t fehlen. Er tut es jetzt schon. Er wäre der ideale Präsident für ein neues Russland gewesen. Für den alternden Putin war Nawalny auch deshalb ein Feindbild, weil er für die jüngere Generation stand.

Wie wird dieser Krieg enden? Ich denke, es könnte früher geschehen, als wir denken – weil beide Seiten nicht mehr vorankomme­n. Ich glaube auch nicht, dass sich dieser Krieg zu einem Weltkrieg ausweitet. Putin ist sich bewusst, dass der kollektive Westen stärker ist als er. Das wird eher eine Trennung in zwei Welten wie jene in Korea.

Vermissen Sie Russland? Es hat sich in den letzten Jahren doch stark verändert.

Natürlich. Russland ist zerrissen. Es gibt für mich weiter die Erinnerung an das helle Russland; die Erinnerung an meinen sprechende­n Papagei Shiva, der noch dort ist. Shiva ist klug. Den Namen „Putin“spricht er nicht aus, dafür jenen einer Opposition­spolitiker­in. Aber es gibt auch ein Russland, das mit dem Militarism­us verbunden ist; dieses habe ich zurückgela­ssen; es ist von selbst aus mir herausgesp­rungen wie eine Kröte, von der mir übel wird.

In Ihrem Buch gibt es einen Gegenspiel­er zum Gopnik: den Schriftste­ller. Er verkörpert ein anderes Russland. Haben Sie überlegt, künftig eine politische Rolle zu übernehmen? In Prag kam 1989 ein großer Dichter ins Präsidente­namt.

Ich habe Václav Havel damals getroffen – er wirkte ganz schön gequält von seinem Präsidente­namt. Nein, ich möchte mir meine Unabhängig­keit bewahren. Zu schreiben und zu versuchen, ein normaler Mensch zu sein, also nicht einer, der hasst und verachtet, sondern einer, der etwas Gutes will, das genügt mir. Und ich hoffe, dass der Wechsel in Russland bald kommt, bald genug, damit die vielen jungen, klugen Leute, die fortgegang­en sind, zurückkomm­en können.

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 ?? AFP ?? Viktor Jerofejew hält eine positive Wende nach dem Ende Putins für möglich. Noch einmal sichert sich dieser jedoch am Sonntag seine Macht im Kreml
AFP Viktor Jerofejew hält eine positive Wende nach dem Ende Putins für möglich. Noch einmal sichert sich dieser jedoch am Sonntag seine Macht im Kreml

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